Martin Bötzinger. Ein Lebens- und Zeitbild aus dem 17. Jahrhundert

 

Zehntes Kapitel

Straufhain und fränkische Leuchte

 

Besser als der Römhilder Flickschneider verstanden das Einfädeln die Spitzbuben auf dem Straufhain. Und wenn meine verehrte Leserin, die das Einfädeln eigentlich auch verstehen muß, wissen will, wie es die Spitzbuben gemacht haben, so muß sie einen schönbewaldeten Bergkegel ersteigen zwischen der Rodach und der östlichen Kreck. Der Königsberger Amtschreiber Jonas Pürtzel wird sich als ein sicherer Führer bewähren.

Das war locus maxime illustris in den mittlern Zeiten, als worauf die Herren des hiesigen Landes ihre Residenz gehabt und davon den Namen geführt haben, daß sie die Herren auf Strauf sind genennet worden, wie denn Kaiser Philippus in der Anno 1206 den 14. Februar erteilten Konfirmation Grafen Poppo XIII. genennet hat Popponem Comitem de Struphe, dessen Sohn Hermanus II. in so großem Ansehen stund, daß nach Kaiser Wilhelms Abgang, der sein Schwager gewesen, bei dem großen Interregno 1256 die Wahl eines römischen Königs eine Zeit lang auf ihn gestanden, wie wohl er diese Ehre nicht annehmen wollen. Der Prospekt gegen Koburg und auf der andern Seite gegen Römhild ist unvergleichlich schön auf diesem Berge, und deswegen kein Wunder, daß die vormaligen Landesherren nach damaliger Art eine Residenz darauf zu bauen sich haben gefallen lassen. Hier sind noch zu sehen die Rudera der 1525 von den aufrührischen Bauern zerstörten Residenz.“

In dem Turmgeviert, das mit Brettern gut verdacht war, saß auf einer aus Schutt und Steinen entstandnen Erhöhung an der Wand wie auf einem Thron ein junger Mann mit Vollbart, einen Fuchsschwanz auf dem breitkrempigen Hut; in einem Knopfloch des grünen, seideverbrämten Wamses mit Schlitzärmeln hing auf der Brust an einer goldnen Kette ein silbernes Pfeifchen. Die mit Reitstiefeln bekleideten Füße übereinander geschlagen, den Degen quer über den Knien in den Händen wie spielend drehend, saß der junge Mann da als das Haupt einer ihn umgebenden Spitzbubenbande – sonderbare Gestalten von verschiednem Alter und verschiedner Tracht.

Ich, euer Marschall, fordre jetzo, wie es Brauch und Beschluß ist unter uns, Rechenschaft vom Gang der Woche. Zum ersten, was liefert ihr ab an Geld? Schatzmeister vor!“

Nach dieser Aufforderung stellte sich eine Gestalt mit schwarzen Locken und schwarzem viereckigen Bart am Kinn an einen tischartigen Stein in der Mitte des Geviertes, der durch eine Mauerluke gut beleuchtet ward, und nahm von jedem das Erträgnis der Woche in Empfang, nach dem Marschall gewandt jedesmal Namen und Betrag nennend. Und jeder empfing je nach dem Erfolg seines spitzbübischen Wirkens Lob oder Tadel aus dem Munde des Marschalls.

Nach beendigtem Einnahmegeschäft sagte der Schatzmeister: „Achtundvierzig Taler fünfzehn Groschen, Herr Marschall; hier sechzehn Taler fünf Groschen als das Eure!“

Der Spitzbubenbeherrscher erhob sich, strich sein Geld ein und verfügte sich wieder auf seinen Thron. „Spione vor!“, rief er dann. Sechs Mann stellten sich militärisch vor dem Befehlshaber auf. „Du, Schnappauf, was gibts zu riechen?“

Herr Marschall, am Freitag abend hab ich auf dem Rathaus in Heldburg als Pillenhändler gelegen; hab da gehört, daß des Schössers Schreiber nach Römhild gereiset; auch der Ratsherr Böhm mit seiner Tochter sind dahin auf Besuch zum Ratsherrn Valtin Hübner; selbige kehren am dritten Feiertag nach Haus.“

Stimmt!“, unterbrach der Marschall die Meldung, „ist mir gestern schon kund geworden. – Sind der Jungfer Böhm beim Ratsherrn Valtin Hübner in Römhild verwichne Nacht Maien gesetzt worden, wie ich angeordnet habe, Schmalhans und Dohle? Wo steckt ihr?“

Zu Befehl, Herr Marschall, ist gut besorgt worden!“

Werd mich überzeugen. Fahr fort, Schnappauf!“

Da wär am zweiten Feiertag, wenn Knecht und Magd zum Tanz gehn, was zu machen – bei Böhms in Heldburg mein ich. – Ein Schrecknis muß ich melden. Der Bürgermeister will in Koburg auswirken, daß auf uns gestreift wird. Nächten wollt er selbst nach Koburg; werden räumen müssen.“

Geht nit so hitzig, Schnappauf! Hat Zeit, bis wir die Hellebarden sehen. – Und du, Durchschlupf? Warst die ganze Woche nit zu sehn.“

War ins Papistische geraten, hinneröm; hab bei den Mönchen gut geschmaust, denn Herr, im Kreuz machen und Rosenkranzplappern kenn ich mich aus, hinneröm. Hab nen verfluchten Streich ausgeführt hinneröm. Pater Gregorius hat mir den Kopf balbiert, Herr, seht Ihrsnet? Dann hat er mir die Kutte angezogen und mich zur gnädigen Frau aufs Schloß geschickt hinneröm. Er kunnt net selbst, denn er hatte sich ein Hühneraug zu tief geschnitten und war lahm. Der neue Mönch gefiel der gnädigen Frau. Charmiern, dacht ich, ist net bitter, und hatte gute Tage hinneröm. Dreimal war ich auf dem Schloß, dann litts der Pater Gregorius net mehr; sein Hühneraug fing an zu heilen. Bei der Affair aber dacht ich auch an Euch, Herr! Dies Ringlein und dies Kettlein hab ich Euch mitbracht. – Nächten bin ich mit einm lutherischen Theologus gereist; hab in Gellershausen eins mit ihm getrunken, heißt Georg Eisentraut und ist zu Besuch auf die Festing zum neuen Infermater, so Martin Bötzinger heißt. Das wärs, Herr Marschall!“

Der Herr Marschall stand auf und sagte: „Gut jetzo! Bereitet was für den Magen. Nach dem Essen solls zu End kommen!“ – Er begab sich nach der Ostseite des Berges, setzte sich unter eine Eiche, von wo aus er einen freien Blick weit ins Land hinein hatte, und ließ sein Auge über Rodach hin nach Neustadt und Mupperg schweifen. Es war der erste Pfingsttag, und das Feiergeläute klang von allen Orten umher zu dem Marschall Hans herauf als ein weltumspannender Chor, worin die nähern Glocken noch einzeln zu unterscheiden waren, die fernen aber mit einem verschwommnen wunderbaren Summen und Brummen dem träumerisch Ausschauenden die Seele umstrickten.

Der Spion Durchschlupf zeigte mit dem Daumen über die Achsel und sagte zum Schatzmeister: „Hinneröm! Uns Marschall hot mal sei Mucken. Sät mar nar, as ar an der Eche sein Norn gfresse!“

An der Eich net“, entgegnete der Schatzmeister, „setzt sich dor als nieder, daß er ausschaut, weil a Loch dor im Wald is.“

Gles niat!“, sagte ein dritter, „fehlt 'm öppes!“

Freilich! Hinneröm. Der Wald hat mehr Löcher.“

Wos ihr wöllt!“, fiel ein alter Graukopf drein, der seinem Dialekt nach aus der Gegend von Eisfeld stammte, „war duch unern Morschall kenna! Dan leit wos im Krogen; warn nit gor lang mehr ham, denk ich. Er hot alles ghaßt, wos Mensch heßt, nar äs leitn u: die Hemet. Im letztn Johr is ar urdentlich weechharzig wurn. Denk, ar wird uns bal im Stich lassn; u nacher is alls aus!“ Dem Alten traten Tränen in die Augen.

Nachn gänn mr mitnand ins Kluster hinneröm. Wenn uns Morschall nit wär, stäk ich schu lang in der Kutten hinneröm.“

Ein schwacher Pfiff machte alle verstummen.

Nach eingenommnem Mahl ward das Spionverhör zu Ende geführt. Der Spion Durchschlupf hatte eine neue Bekanntschaft zur Aufnahme in das „Kapitul“ angemeldet. Aber von seiten des Marschalls ward jeder Zuwachs abgelehnt: „Vielleicht blüht uns bald andre Arbeit, Kinder; dann beginnt ein ander Leben. Wozu neue Werbung?“

Der Graufkopf sah den Schatzmeister mit bedeutungsvollem Blick an.

Darnach wurden unter umsichtiger Beratung Pläne geschmiedet und für die neue Woche die Rollen verteilt: alles griff wohlberechnet in einander; es war alles gut eingefädelt. Nachdem sich jeder für seine ihm gewordne Aufgabe entsprechend kostümiert hatte, ging die Bande nach allen Richtungen hin auseinander. Aber drei Mann blieben als Wache zurück.

Auch der Marschall verließ für diesen Tag die Burg nicht, spielte mit seinen Pferden, die in einem Gewölbe standen, oder saß unter seiner Eiche. Und wenn von da aus sein Blick einmal nach Süden streifte, blieb er an der Feste Heldburg hangen. „Drüben sitzt der Märtel auf der Burg und spielt einen geehrten Herrn; und da hüben haus ich in Burgtrümmern als Banditenhäuptling. Des Trankes Gift war nur für mich zum Unheil; ihm hat es nicht geschadet. – Im Elend wälz ich mich, und er im Wohlleben. Es muß noch anders kommen! Sollt nicht bei ihm das Gift auch noch seine Beulen treiben? – Die Tröpfe da und dieses Luderleben hab ich satt: zu Glanz will ichs noch bringen. Nun hat das Gift mich lang genug geschüttelt. Ich will Bresche brechen! – Vielleicht, wenn ich was gelte in der Welt – wenn mich das Glück erhebt, wälzt er sich im Elend. Dann sind wir quitt. Und dann drück ich ihn doch noch an die Brust, den ich als Knabe schon liebte!“

 

Ja, drüben auf der Feste saß der Herr Martin Bötzinger, der neue Informator, und sein Freund Jörg Eisentraut am ersten Pfingstfeiertag gegen Abend mit noch etlichen stattlichen Herren an wohlbesetzter Tafel. Der Herr Superintendent Sebaldus Krug, der Herr Bürgermeister Tobias Wehner und der Herr Pfarrer Georg Böhm von Lindenau, des Ratsherrn Bruder, waren bei Martins Prinzipal, dem Schösser Andreas Götz, zu Gast. Und Meister Örtlein von Koburg, der dem ehemaligen Pflegling seiner Sophel fest versprochen hatte, ihn auf der Heldburger Feste bald zu besuchen, hatte am heiligen Abend eine Gelegenheitsfuhre benutzt und sich auch eingefunden.

Der Herr Superintendent saß oben an, zu seiner Rechten der Herr Bürgermeister, zur Linken der Herr Pfarrer Böhm. Wildmeister Jörg Wagner saß Meister Örtlein gegenüber, und am untern Ende der Tafel dirigierte zwischen Jörg Eisentraut und Martin Bötzinger der Herr Amtsschösser Andreas Götz das Mahl.

Eben trug man ein neues Gericht auf. „Schweinsschlegel in Pfefferkuchenbrüh“, sagte die bewirtende Magd.

Meister Örtlein hub an zu lachen und wandte sich an den Amtsschösser: „Herr Götz, wenn das so fortgeht, muß ich mirs aufschreiben, was es gegeben hat bei Ihm; denn meine Sophel will alles haarklein wissen. Also erstlich Fürstensuppen, zum andern Rindslende, zum dritten Aal, zum vierten Lammfleisch mit Spinat, zum fünften – was wars, Martin? – richtig: Makkaronipotage mit Kalbsbrust, nun zum sechsten also Schweinsschlegel in Pfefferkuchenbrüh. Hahaha!"

Ist ein Sprichwort“, sagte mit würdigem Ton Pfarrer Böhm, heißt: „Wo man isset, da soll man zugehen; wo man Geld zählt, da soll man von gehn.“

Hat recht, Herr Pfarrer!“, entgegnete Meister Örtlein, „so dachte auch die Kaiserin Anna. Gegen die sind wir im Essen Kinder; hat so gotteslästerlichen, unstillbaren Appetit gehabt, daß sie ganz unförmlich dick geworden und sich schwere Leiden zugezogen hat, woran sie am 14. Dezember 1618 elendiglich umkam.“

Zu dem Kellerburschen, der zwei Krüge Wein auf die Tafel setzte, sagte der Amtsschösser: „Nun genug von unserm Berg; bringst nachher Leistner!“

Der Herr Wildmeister Wagner warf hin: „Der Kaiser Ferdinand soll ein flotter Jäger sein; weiß er Aufschluß zu geben, Meister Örtlein?“

Ja wohl; der jagt und betet, aber regiert net. Ehe er Kaiser wurde, hatte er das Leben der Heiligen von Surius schon sechsmal gelesen. Die Jungfrau Maria will er als die Generalissima seines Heeres angesehen wissen. Seinem Beichtvater schmeichelte er oft mit dem Ausspruch, wenn er einem Priester und einem Engel zugleich begegnen würde, tät er erst den Priester grüßen.“

Der Herr Bürgermeister erhob seinen Becher und forderte auf zu einem Trunk auf die Gesundheit des hofkundigen Meister Örtlein.

Das schnappt unser lieber Meister Örtlein alles beim Thorbeck unter den Hofherren auf; er hat ein absonderlich gut Gemerks“, sagte wohlwollenden Tons der Herr Superintendent.

Aber was soll aus uns Lutherschen werden unter solchem Kaiser?“, fragte der Herr Amtsschösser.

Nun sie den Böhmen den Garaus gemacht, werden sie uns ins Land fallen; und wo wir jetzt sitzen und es uns wohl gefallen lassen, wird kein Stein auf dem andern bleiben“, prophezeite Martin Bötzinger. Aber der Herr Pfarrer Böhm eiferte: „Die evangelischen Mächte werden sich zusammen tun; und der Geist des Herrn wird über sie kommen, und sie werden der Papisten Schild zerschmeißen wie einen irdnen Scherben.“

Herr Pfarrer, der Geist des Herrn wird nicht über die Evangelischen kommen, auch nicht über die Papistischen, sintemal unter allen nunmehr alles auf Machterwerb hinausläuft“, wendete der Herr Wildmeister sehr ernsthaft ein und fuhr fort: „Glaubt, meine Herren, daß jetzo in Paris die Karten gemischt werden vom schlauen Richelieu, nicht im Himmel. Und wenn nicht der Däne und der Schwede noch Trumpf ausspielen, nimmt das Spiel ein elend Ende.“

Ganz recht, Herr Wildmeister!“, nahm der Herr Superintendent das Wort, „aber die Hauptsache ist und bleibt – wie es im Prodomus heißt –, die so teuer erworbne Libertät und Freiheit zu erhalten und zu verhüten, daß nicht der Päpstlichen Gewalt und das spanische Joch über die freie deutsche Nation und also dem Reich ein unbekannter und unleidlicher dominatus absolutus ein und auf den Hals geführet werde.“

Da brachte die Magd abermals ein neu Gericht: „Gefüllte Säuohrn!“

Gefüllte Säuohrn? Hab sie mein Lebtag noch nit gessen“, lachte Meister Örtlein. „Also zum siebenten: Gefüllte Säuohrn!“

Jörg Eisentraut erhob sich und hub in ernstem Tone also an: „Zwischen uns, meinem Freund Bötzinger und mir, ist ein Streit, ob es löblicher sei, aus Bechern zu trinken, denn aus Gläsern; und desgleichen, ob ein Theologus einen Bart tragen oder mit glattem Gesicht einhergehen soll. Wollte hiermit gegenwärtige ehrenfeste Herren, sonderlich den hochgelahrten, sach- und rechtskundigen Herrn, Seine Hochwürden, den Herrn Superintendenten Sebaldus Krug anjetzo gebeten haben und berufen zu giltigem Entscheid und weislicher Schlichtung solcher Fragen.“

Den Herrn Superintendenten vergnügte der Antrag des jungen Theologen über die Maßen, und er wandte sich an den Gastgeber also: „Was die zweite Frage anlanget, so werde ich hernach meine Meinung äußern, wenn wir über die erste Frage Beschluß und Urtel gefunden. Es wolle zuvörderst unser wohlerfahrner, kluger und ehren- und trinkfester Wirt, der Herr Amtsschösser Götz, in Sachen des Bechers seine Meinung kund und zu wissen tun.“

Der Aufgeforderte ließ sich also vernehmen: „Wer prahlen will im Trinken, nimmt ein Glas, also daß jedermann seine großen Züge sehen kann; wer sein Teil aber bescheidentlich hinnehmen will, trinkt aus Bechern oder Humpen, wie meiner da ist.“

Da erhub sich ein großes Lachen, und alle standen auf und stießen an mit dem weisen Amtssschösser, und es mochte in keines Becher was geblieben sein, denn als der Leistner ankam, hatte der Kellerbursche jedem einzuschenken, also daß Herr Andreas Götz ihm die Weisung erteilte, nicht allzulange zu verziehen im Keller.

Darauf nahm der Herr Superintendent das Wort. „Das Barttragen der Geistlichen anlangend fällt mir ein Buch ein: Eucharius Eyrings, weiland Pfarrers zu Streufdorf, Proverbiorum Copia, d. i. Etliche viel hundert lateinischer und deutscher schöner und lieblicher Sprichwörter, wie die deutschen auf latein, und die lateinischen auf deutsch ausgesprochen, mit schönen Historien, Apologis, Fabeln und Gedichten gezieret, menniglichen nütz- und kurzweilig zu lesen. – Im dritten Teil selbigen Buches meldet Eucharius Eyring, daß er wider die damalige Mode keinen Bart gezeuget. Wie er denn auf die Bartbrüder, sonderlich auf die geistlichen nicht wohl zu sprechen ist, die mit ihren Bärten die Leute erschrecken. Seine Worte sind unter andern diese:

 

So hör ich, wer den Bart läßt schern,

Der ist kein Jünger Christ des Herrn,

Allein der so ein Bart tut hon,

Dafür die Leut erschrecken ton.

Demnach ein Wunder, daß mich Gott

Fast funfzig Jahr geduldet hot

Ohn Bart in der Fürsten Land

Zum Diener dern von Sachsen genannt,

Des Worts, darum ich erst gefangen

Vom Papsttum, und durch Gott entgangen.

 

Sollte nicht allzu schwer fallen, auch für den Bart manches zu zitieren; halte es aber für ein müßig Spiel, sintemal es unserm Herrgott und seinem Lutherus gleich sein mag, ob ein Theologus Haare am Kinn trägt oder nicht – wenn er nur solche auf den Zähnen hat.“

Mein ich auch, Herr Superintendent!“, rief lustig der Herr Wildmeister, „das Geweih macht den Hirsch, net das Haar!“

Haar auf den Zähnen sind schon was wert“, warf lachend Meister Örtlein dazwischen.

Mein Leistner macht sich auch nit schlecht auf den Zähnen – besser als im Krug!“, schäkerte der Herr Schösser und forderte zum allgemeinen Trunk auf.

Hirschkolbn mit Morcheln!“, sagte die Magd an beim Niedersetzen eines neuen Gerichts, begab sich dann hinter den Stuhl des Schössers und meldete leise: „Herr, in der Küche ist ein Mönch, nennt sich Pater Willius, und noch ein alter Schlingel; die treibens ganz unflätig. Habn gegessen und getrunken; aber wir bringen die Lümmel net fort. Der Pater Willius kann net mehr stehn.“

Der Pater Willius?“, rief Martin Bötzinger und sprang auf vom Stuhl. „Pater Willius?“, rief auch der Herr Superintendent und erhob sich ebenfalls. „Was hat sichs mit dem Mönch?“, fragte Meister Örtlein; aber er verlor seinen Gleichmut nicht und blieb allein sitzen bei Hirschkolben mit Morcheln.

Pater Willius ist ein lüderlicher Mönch, der sich im Land herumtreibt“, erklärte Martin Bötzinger. Und der Herr Superintendent ergänzte: „Herumtreibt und einstmals evangelischer Pfarrer gewesen in Einberg, Lindenau und Sonneberg, aber seines schlechten Wandels wegen removiert worden ist.“

Soll betrunken sein, daß er nit stehen kann, der ewige omnium unflatissimorum unflatissimus“, sprach der Herr Amtsschösser.

Laßt ihn aufs Stroh legen; morgen wird er schon davon laufen“, riet Meister Örtlein und langte sich von dem Hirschkolben zu, tat auch einen Zug Leistner.

Der Hauswirt entfernte sich mit den Worten: „Langen die Herrn zu! Will nachsehen des Ungeziefers.“

Die Herren nahmen wieder Platz und machten ihre Späße über das Klosterleben. Da kamen allerlei ungeschlachte Dinge zum Vorschein. – Nach kurzer Weile kehrte der Herr Amtsschösser zurück und brachte einen Fremden mit. Er stellte ihn mitten ins Zimmer und begab sich auf seinen Platz an der Tafel. „Das ist der Begleiter des Mönchs: scheint auch ein sauberer Vogel zu sein; bracht ihn mit zur Kurzweil der Herrn: mögen ihn examinieren.“

Was ist sein Metier?“, fuhr der Wildmeister den Fremden an.

Bin auch ein Mönch, hinneröm!“

Er ist kein Mönch!“, widersprach der Herr Superintendent.

Eigentlich net, hinneröm!“

Ein Vagant!“, rief der Herr Pfarrer Böhm – ein Vagant reinsten Wassers. Man sollte ihn ins Verlies werfen!“

Das net, gnädige Herrn. Bin ein ausgemerzter Kriegsmann und such Arbeit, hinneröm; aber die schwer Kränk könnt mer kriegn heutzutag. Hab heut den Pater in Trappstadt getroffn und mußt ihm versprechn, bei ihm zu bleibn, weil er net gut auf den Beinen war, daß er net zu Schaden käm hinneröm. Will den armen Mannmorn nach Haus schaffn, daß ich mir im Kloster ein Trinkgeld verdien hinneröm.“

Ein Galgenstrick!“, rief der Wildmeister. – Da trat der Kellerbursche mit neuer Ladung ein. Dem ward die Weisung, den Mönch mit seinem Führer da im Schafstall aufs Stroh zu legen.

Die Herren zechten weiter. Auf den Leistner folgte ein properer Rheinwein.

Da kams aus den unterirdischen Räumen der Burg emporgestiegen – kichernd, scherzend, lachend – neckend, liebkosend, berückend – polternd, brausend, tobend – klirrend, stoßend, fechtend – sengend, brennend: durcheinander wild und wüst; – aber keiner der Zechenden hörte, noch sah was davon. Es kam emporgestiegen und drang durch den Estrich und durch die Schuhsohlen, und drang durch das Gebein empor in die Köpfe, daß sie glühten und leuchteten. Und dieses Glühen und Leuchten drang durch die Burgfenster und warf seine Strahlen nach allen Himmelsgegenden. Und von dem Tage an soll die Feste Heldburg den Namen bekommen haben: „Fränkische Leuchte".

Der Herr Bürgermeister Tobias Wehner schlug auf den Tisch und sagte: „Ihr Herrn mögts glaubn oder net; es soll doch so sein! Eine Spitzbubnbande liegt auf dem Straufhain. Gestern war ich in Koburg und habs angezeigt; und wenn der Herzog net einschreiten läßt, ist keine Gerechtigkeit mehr im Reich!“ Und schlug noch einmal auf den Tisch.

Ist so! – Meinem Nachbar habn sie vor vierzehn Tagen drei Hammel gestohln.“

Wo hat der Marschall Hans mit seiner Bande nicht schon gespukt?“, setzte der Pfarrer von Lindenau zur Bekräftigung hinzu.

Der Herr Amtsschösser bedeutete die Herren: „Ja, wenn die schwarze Kunst nit wär! Herr Bürgermeister, da hilft das Streifen nix!“

Martin Bötzinger tat einen kräftigen Zug.

Endlich – die Nacht war hereingefallen – erhob sich der Superintendent und mahnte zum Aufbruch: „Unser lieber Herr Amtsschösser ist gewohnt, jeden Morgen um zwei Uhr aufzustehen; wir dürfen den Zagel nicht zu lang machen.“

Trifft zu; hab in meinem Lebn bei Licht schon mehr diktieret, denn ein andrer bei Tag verrichtet. Hab mirs in meiner Jugend schon angewöhnt in Schleusingen beim Latein.“

Nach Verabschiedung des Pfarrers von Lindenau und des Heldburger Superintendenten und Bürgermeisters lag auf der Burg bald alles in festem Schlummer. Die Schlüsselmagd wollte die Vorratskammer für die Küche abschließen, brachte aber den Schlüssel im Schloß nicht herum. „Weiß der Kuckuck; was das is mit dem Schloß! – Bis morgen muß es schon gut tun; weiß kein Mensch, daß net verschlossen is.“ Ebenso erging es dem Kellerburschen am Kellerschloß. Er schwieg und ging auch zu Bett.

Bruder Durchschlupf vom Straufhain hatte es verstanden, unbemerkt ein Stückchen Eisen in jedes der beiden Schlösser zu praktizieren, daß sie ihren Dienst versagen mußten. Der Pater Willius war unbewußt in den Dienst dieses Gauners gekommen und hatte sich ganz ausnehmend in dem Zustand gefallen, worin er absichtlich erhalten worden war. Er schnarchte auf dem Stroh, daß sich keine Fledermaus in die Nähe des Schafstalls wagte. Um so muntrer war sein Geselle. Als auf der Burg alles in tiefster Ruhe lag, schlich er aus dem Schafstall und erkletterte mit Hilfe einer Stange, die in einer Ecke lehnte, die Mauer. Mit katzenhafter Vorsicht suchte er eine Stelle aus, die von innen unbeobachtbar war, holte ein Taschenfeuerzeug hervor und schlug dreimal Feuer. Nach einigen Minuten wiederholte er das Experiment. Da blitzte es unten am Berg hinter einem Schlehenstrauch ebenfalls dreimal. Bruder Durchschlupf machte sichs nun bequem auf der Mauer und wartete des Weitern. Nach ungefähr zehn Minuten kamen fünf Mann an mit Körben. Es wurden Strickleitern angebracht, und nun begann der heimliche Transport aus Vorratskammern und Keller über die Mauer. Um ein Uhr war der Spuk verschwunden. Im Schafstall schnarchte Pater Willius. Und der Hofhund streckte sich in seiner Hütte in patermäßigem Wohlbefinden; denn so ein nächtlicher Schmaus, wie ihm von unbekannter Hand eben bereitet worden, war ihm in seinem Hundeleben noch nie vorgekommen.

Ein Eulenpaar, vertraut mit den Mysterien der Nacht, Vergangenheit und Zukunft mit scharfen Augen nach Jahrhunderten durchschauend, wunderte sich fast sehr, als sich statt Marder, Wiesel und Iltis so große zweibeinige Gestalten über die Mauer auf und ab bewegten.

Ein vorausgeworfner Schatten der steigenden und fallenden Kurse aus dem neunzehnten Jahrhundert, sichtbar gemacht in vollen und leeren Körben!“, sagte in gewaltig ernstem Tone der Eulenvater zu seiner Madame. Diese nickte sympathisch und zog sich eine Feder durch den Schnabel.

Mit dieser Euleninspiration wollen wir von der fränkischen Leuchte auf kurze Zeit scheiden.

Es dürfte doch die Geduld unsrer lieben Leser zu hoch gespannt werden, wollten wir erst erzählen, wie sich wirklich punkt zwei Uhr der Herr Amtsschösser vom Lager erhob und seinen Morgensegen betete, welchen Aufruhr es am Morgen gab, als man des großen Diebstahls inne ward – und welche Hiebe es auf den Pater Willius regnete, der den Spion und Erzspitzbuben auf die Feste mitgebracht hatte.