Martin Bötzinger. Ein Lebens- und Zeitbild aus dem 17. Jahrhundert

 

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Rückfall

(1625)

 

Am 24. Januar, an einem Montag, gegen Abend, ging Martin Bötzinger in seinem Zimmer raschen Schrittes auf und ab. In seiner Rechten hielt er ein beschriebnes Blättchen Papier. Er blieb öfter stehen, las und begann dann wieder lebhafter auf und ab zu gehen. Das Blättchen war die Ursache seiner Erregung.

Da trat grüßend der Herr Amtsschösser ein. „Stör Ihn doch nicht im Studieren, Herr Bötzinger?“

Nicht doch, Herr Amtsschösser! Aber ein wichtiger Fund macht mich fast aufrührisch. Seine Wohlgeneigtheit hat mir die Schlüssel zum Fürstenbau anvertrauet zur Informierung und auch Aufsuchung etwaniger Schriften und Bücher, so mir gefallen möchten, und ich habe ein kalvinistisch Büchlein und sothanes Blättlein darin gefunden, ein kurioses Carmen, so mich als ein Finger aus jener Welt mahnet zur Aufsuchung eines verlornen Familienschatzes.“ Martin reichte dem Herrn Andreas Götz das Blättlein, das in zierlicher Schrift folgende Verse enthielt.

 

Ritter Ulrich, der Weiberfänger

Ulrich, der edle Herr

Vom Württemberger Land,

Sucht' heim die Eßlinger,

Nahm mit ein teures Pfand.

Ei, schäm Er sich,

Herr Ulerich!

 

Was war das für ein Pfand,

Das Ulrich sich erkor?

Es war nit Geld, noch Land,

Was Eßlingen verlor.

Ei, schäm Er sich,

Herr Ulerich!

 

Äneas Sylvius

Den Deutschen sagte nach,

Daß je im Krieg Verdruß

Den Frauen nie geschah.

Ei, schäm Er sich,

Herr Ulerich!

 

Er hat vor Deutschen Ehr

Verlottert und verscherzt,

Hat Weiber ohne Wehr

Gefangen und geherzt:

Ei, schäm Er sich,

Herr Ulerich!

 

Einhundert fing er ein

Und fünfundsechzig noch,

Da half kein Flehn und Schrein :

Herr Ulrich raubt sie doch.

Ei, schäm Er sich,

Herr Ulerich !

 

Und ob das teure Pfand

Er wieder ließ heimziehn:

Es ist im deutschen Land

Kein Mann dem Ulrich grün.

Ei, schäm Er sich,

Herr Ulerich!

 

Christine

 

Der Herr Amtsschösser gab das „kuriose Carmen" zurück und sagte: „Das ist mir neu, daß die hessische Kalvinistin und Sterndeuterin, die Herzogin Christine von Eisenach, auch ein Ingenium poeticum ist, wie hier zu sehen. Es sollte wohl an den Tag kommen, wie ein Frauenzimmer ihre einhundertfünfundsechzig beschimpften Schwestern nach einhundertfünfundsechzig Jahren an dem unritterlichen Ulrich gerochen hat. Aber von Seinem verlornen Familienschatze merke ich nichts in dem Carmen der Christine, wenn Er nicht „deutsche Ehre“ als ein Sondergut seiner Familie hält.“

Die Ehre meiner Familie soll mir nicht als verloren gelten; aber des Äneä Sylvii historisch Werk in Münchsschrift, gedruckt auf groß Regalpapier, war im Besitz meines Großvaters und ist unsrer Familie abhanden gekommen. Obschon ich weite, saure Wege derhalben gemacht und vor etlichen Jahren von dem Pfarrer Wolf in Bischleben erfahren habe, daß solches rare Buch itzund in den Händen des Diakonus Matthäus Göring in Königsberg ist, war ich doch lässig und matt geworden, daß ich bis dato den Weg nach Königsberg immer noch vor mir habe. Und es ist mir ein Schrecken angekommen ob meiner Mattigkeit, da ich den Finger meines Großvaters aus jener Welt in diesem Carmen erblickte.“

Der Herr Matthäus Göring ist ein vortrefflicher lateinischer Poet und ein guter Bekannter von mir. So möchte Er denn nun wohl gern recht bald einmal nach Königsberg, seinen Familienschatz zu heben?“

Wenn nicht der böse Winter wär, ging ich am liebsten morgen schon!“

Ei, sieh Er doch einmal an, wie sich das so schön fügt! Bin derohalb zu Ihm gekommen, daß ich Ihn fragen wollte, ob Er nicht Lust hätt, morgen zu Schlitten mit mir nach Königsberg zu fahren?“

Martin Bötzinger wich erschrocken einen Schritt zurück. Scherz konnte das nicht sein; solcher Scherze war Herr Andreas Götz nicht fähig. – Zufall? – Nein! Wer ihm das Blättchen in die Hand gespielt, hatte auch den Kutscher nach Königsberg für ihn bestellt.

Staune Er nicht! Es mag sich ja für Ihn ganz absonderlich fügen, und ich bin selbst ob dieser Fügung betroffen. Um so schöner, daß es sich trifft wie abgekartet. Mein Freund Jonas Pürtzel nämlich, so verwichnen Herbst als Vogt nach Rügheim versetzt worden, ist auf etliche Tage nach Königsberg gekommen zur Erledigung wichtiger Amtsgeschäfte und will morgen auch mit mir in einer besondern Angelegenheit verhandeln. Und weil Ihm, Herr Bötzinger, die Schlittenfahrt von Mupperg her so gut angeschlagen ist, so gedachte ich, Ihn auch nach Königsberg mitzunehmen.“

Martin Bötzinger war vor Freude aufs tiefste erregt und ging noch lange heftig in seinem Zimmer auf und ab, als ihn der Herr Amtsschösser verlassen hatte.

Nach einer unruhigen, langen Nacht war Martin Bötzinger erst in einen ruhigen Schlummer gefallen, als schon der Tag durch die bleiumrahmten Glotzen in die Burg drang. Ein Sperling, der mit dem Informator auf gutem Fuße stand, pochte mit seinem Schnabel an das Fenster, weil sein Frühstück noch nicht gestreut war. Martin schlug die Augen auf und wunderte sich, daß er in seinem Bett lag; denn eben hatte ihn ein Traum in Königsberg spazieren geführt. Und eben tat sich die Tür seines Schlafzimmers ein wenig auf, und die Liedermagd steckte schüchtern den Kopf herein und rief: „Herr Bötzinger, das Frühstück ist aufgetragen! Der Herr wartet auf Ihn.“

Wenn die Nebel des Herbstes als flaumige Kristallmasse die gefrorne Erde decken und das Wild hungerleidend durch den stillen, starren Wald trottet, und hie und da ein einsamer Rabe über das weiße, öde Feld schwebt: dann fallen für das christianisierte deutsche Geschlecht am zusammenhaltenden, wärmenden Herd die Schranken der Zeit, und das Altertum ragt herein mit seinem großartigen Volksgedicht und taucht die Seelen in den Zauber der Sage, und am warmen Quell in der Wiese sproßt die grüne Kresse als Bürgin der Frühlingswiederkunft.

Die Familie des Andreas Götz saß am wärmenden Kamin, und die Mutter war eben zu Ende mit der Erzählung einer Geschichte aus den „zwölf Nächten,“ als der Hauslehrer reisefertig eintrat.

Er hat mir gestern mit dem aufgefundnen Carmen eine rechte Freude bereitet, Herr Bötzinger!“, sagte der Herr Amtsschösser – „ich habe auch einst so ein Blättlein gefunden. Es ist alt und gelb und steht kein Name unter den Versen; aber es mag Ihm vielleicht doch gefallen.“ Andreas Götz las:

 

Zu Spangenberg in Hessen

Da liebt ein Knab ne Magd.

Den Alten schiens vermessen:

Die Ehe ward versagt.

 

Dadurch erwuchs dem Pärlein

Groß Herzeleid und Qual.

Und so verstrich manch Jährlein:

Die Wangen wurden fahl.

 

Das kränkte just die Alten,

Das Mitleid wurde wach:

So ließ sichs nit mehr halten:

Die Alten gaben nach.

 

Bedingnis ward gestellet

Dem treu verliebten Paar:

Eh es sich zugesellet,

Mußts schaffen, was dort rar,

 

Trinkwasser fehlt zu Zeiten

Den Spangenbergern sehr :

Das sollt das Pärlein leiten

Vom Berge drüben her,

 

Und wenn das Werk vollendet,

Dann sollt die Hochzeit sein:

Wenn Wasser sie gespendet,

Dann sollten sie sich frein.

 
Sie gruben vierzig Jahre,

Dann starben sie zugleich:

Sie lagen auf der Bahre,

Von Harm und Harren bleich.

 

Der Hauslehrer erbat sich das Carmen von dem Herrn Amtsschösser und steckte es zu dem vom Weiberfänger Ulrich. Das Lied von treuer Liebe war ihm schwer aufs Herz gefallen: tiefe Trauer erfüllte ihn.

Da rief ein Knecht zur Tür hinein: „Ist angespannt.“

Mutwillig brausten die Rosse mit dem Schlitten durch die Winterlandschaft. Ihr Schellengeläute erinnerte Martin an das Koburger Stahlbogenschießen, ihr Wiehern an den Rappen des Spitzbubenmarschalls Hans, der Rabe, der über das Feld flog, an die große Fledermaus; und immer klang es ihm im Ohr: „Sie gruben vierzig Jahre, dann starben sie zugleich; sie lagen auf der Bahre, von Harm und Harren bleich.“

Ist Er schon in Königsberg gewesen, Herr Bötzinger?“, fragte der Herr Amtsschösser.

Anno 16, antwortete Martin.“

Die Stadtkirche, unser lieben Frauen Kirch genannt, ist ein herrlich Gotteshaus; kann Er sich dessen erinnern?“

Nein!“

Ist Anno 1397 im Märzen, unter der Regierung des Bischofs Gerhardi zu Würzburg, eines gebornen Grafen von Schwarzburg, der kurz vorher, 1394, Stadt und Amt Königsberg von Svantiborn, Herzogen in Pommern, wieder käuflich an sich gebracht hatte, zu bauen angefangen worden. Der völlige Ausbau selbiger Kirche hat sich aber in die 67 Jahre verzogen. Solche Verzögerung soll unter anderm auch daher gekommen sein, daß der Kirchenbau einem fremden Steinmetzen anverdungen worden, war fortgezogen und eine lange Zeit ausgeblieben ist, worüber viel Unwillen und verdrießliche Nachreden entstanden. Endlich kam er an und brachte vierhundert Gesellen mit, die man, da sie von Haßfurt hergezogen, als ein feindliches Kriegsheer angesehen und sich darüber fast entsetzet hat. Da ging die Arbeit wacker von statten. Es wohnten aber der Kirche gegenüber zwei Bürger, die von des Steinmetzens langem Ausbleiben übel geredet hatten; an denen revanchierte er sich und bildete sie in lächerlicher Gestalt in zwei Steinen ab, die noch außen an der Kirche zu sehen sind.“

Und solche herrliche Gotteshäuser, an denen der Schweiß der Altvordern und der Glaube und das Hoffen der gegenwärtigen Gemeinden hanget, werden verwüstet werden gleich dem Tempel zu Jerusalem, wenn der mächtige Waldstein Kriegshaufen wirbt und ins Land führet.“

Der sitzt in seinem Fürstentum Friedland und spielt den Souverän, läßt sich Waffenmeister aus den Niederlanden kommen und Seidenweber aus Italien. Ich denke, der macht dem Kaiser noch zu schaffen.“

Der Kaiser macht den Reichen immer reicher; hat ihn zum Fürsten erhoben: der Waldstein wirds ihm danken mit Brand, Raub und Mord im Feindesland.“

Danken? Der Waldstein kennt nicht Dank. Und wenn er tut, was Er befürchtet, so tut ers nicht aus Dankbarkeit: nur noch reicher und mächtiger will er werden. Den Tilly fürcht ich mehr.“

Der Tilly ist schon in die sechzig.“

Und trotzt sieggewohnt den jungen Laffen, kaisertreu in Gottesfurcht.

Ists Gottesfurcht, ists Teufelsfurcht – das Rauben, Sengen, Brennen, Morden? Ists Gottesfurcht, wenn man hilflose Weiber an den Pfahl schmiedet und verbrennt?

Dem Teufel, was des Teufels ist, und Gott, was Gottes ist!“

Wes ist nun Mansfeld, wes der Tilly? Wes die Folterkammer?“

Der Herr Amtsschösser schwieg, und Martin rief erregt: „Dem finstern Wahn verfallen ist das Menschengeschlecht, verschlossen der Sonne der Erlösung!

Aber treue Liebe ist kein Wahn.“ – Der Herr Amtsschösser schien in Gedanken versunken. Martin hörte nicht mehr das Schellengeläute; ihm klang es wieder in den Ohren: „Sie gruben vierzig Jahre, dann starben sie zugleich: sie lagen auf der Bahre, von Harm und Harren bleich.“

Lieben ist Sünde!“, hatte Martin am Tage vor dem Weihnachtsheiligabend gerufen. Seine Mutter hatte ihm gesagt: „Bete, Martin!“ Und Martin hatte gebetet, und es war ruhig in ihm geworden. Aber des Amtsschössers poetischer Fund hatte sein Herz wieder zerrissen: der Friede war wieder dahin; die Sonne der Erlösung, von der er eben gesprochen hatte, hatte sein innerer Riß verschlungen. Ursula Böhm tauchte auf aus dem Schneefeld, blaß und verhärmt. „Sie gruben vierzig Jahre, dann starben sie zugleich: sie lagen auf der Bahre, von Harm und Harren bleich.

Sie waren glücklich! Sie waren treu. Ich bin unglücklich! Sie waren geduldig im Hoffen: der Friede war ihr Teil. Ich bin friedlos!“

So ist das Leben. Es entspringt aus tausend und abertausend Köpfen und Herzen, die unter einander gemischt sind wie Spielkarten, und aus den Jahreszeiten und dem Wetter und allerlei zufälligen Dingen. Denkt da einer, so ists gut, und beginnt zu handeln: kommt am Ende nichts heraus, oder gar das Gegenteil von dem, was er zu bezwecken gedacht hatte. Der Herr Amtsschösser war des Glaubens, seinem Hauslehrer wohlzutun, wenn er ihn mit nach Königsberg nehme, da ihm die Schlittenfahrt von Mupperg nach Heldburg so gut angeschlagen war, und der Herr Bötzinger sah dieses Anerbieten als eine glückliche, höhere Fügung an: aber siehe da, das in Mupperg gefundne Heil ist durch das vergilbte Blättchen vernichtet, und das Interesse für das Äneä Sylvii historisch Werk hat mit Schiffbruch gelitten. Die Fahrt nach Königsberg hat für den zerrissenen Martin keinen Reiz mehr. Der Riß klafft und gähnt dunkel und verschlingt alles, was einer zufriednen Menschenseele zum Vergnügen gediehen wäre. Und doch ist dir in dieser Fahrt ein Los zum Bessern gefallen, mein geistlicher Simplicius!

Nach einer Schlittenfahrt von Heldburg nach Königsberg ist eine warme Stube und eine warme Mahlzeit das Befriedigendste, was einem Menschen zu teil werden kann. Der Herr Amtsschösser saß mit seinem Hauslehrer am warmen Ofen; und jener dachte nicht an den Herrn Jonas Pürtzel, und dieser nicht an den Äneas Sylvius. Sie warteten der Suppe und des Folgenden und ließen sichs gut schmecken, als man auftrug. Dann kam unvermerkt die Dämmerung aus allen Winkeln und Ecken emporgestiegen, und der Herr Amtsschösser fragte dann noch den Wirt, wo heute abend der Herr Jonas Pürtzel wohl zu treffen sei.

Ist gestern abend da gewesen und mag auch heute abend wohl wieder kommen“, antwortete der Gefragte.

Da tat sich die Thür auf, und der Herr Vogt von Rügheim trat freundlich grüßend ein. „Sollte meinen, Ihr wärt es, guter Freund!“, rief der Amtsschösser, ging dem Eingetretnen entgegen und schüttelte ihm treuherzig die Hand. „Ei ei! Mein Freund Götz von Heldburg! Habt also mein Brieflein erhalten. Charmant, charmant!“

Herr Martin Bötzinger hatte sich auch grüßend genähert und reichte dem Herrn Jonas Pürtzel die Hand. „Mein Hauslehrer Bötzinger!“, sagte der Herr Amtsschösser.

Hab den ehrenfesten Herrn Amtsschreiber Anno 16 schon kennen gelernt auf dem Schloßberg mit meinem Freunde Eisentraut von Ibind“, sagte Bötzinger.

Charmant! Er war damals noch Schüler; entsinne mich des schönen Morgens und des Frühstücks – noch recht gut.“

Die Ankunft eines Schlittens schnitt das Gespräch ab. Die Herren eilten an die Fenster. Herr Jonas Pürtzel hatte kaum hinaus gesehen, als er schnell zurückfuhr und rief: „Hilf Gott! eine fürstliche Person! Vier Pferde! Wirt, schnell Licht hinaus!“

Aber ehe der Wirt zurecht kam, stand Herr Jonas Pürtzel schon auf der Straße vor dem schon ausgestiegnen Herrn und verbeugte sich unaufhörlich und machte Kratzfüße. Unterdessen war der Wirt dazu gekommen und begann – in der Linken eine mächtige Laterne, in der Rechten die Pechkappe – sich ebenfalls zu verbeugen und Kratzfüße zu machen.

Von einem nachgekommnen, mit zwei Pferden bespannten Schlitten schnallte ein Bedienter zwei Kisten ab und brachte sie an die Tür des Wirtshauses, und ein zweiter Bedienter holte ein Bärenfell und ein Kästchen aus dem Schlitten des Herrn und stellte sich, Befehle erwartend, hinter die hohe Person.

Herr Wirt, einen Schoppen von seinem Feurigsten!“, befahl der Herr. Und der Wirt stammelte: „Durchlauchtigster, gnädigster Herr! In der warmen Stube dürfte er mehr wärmen als da auf der Straße, wollten Euer Durchlaucht mir die Gnade erweisen – und unterdessen könnte auf der Burg Feuer geschürt und gefegt werden.“

Er hat recht, Wirt.“ „Pürtzel, mach Ers auf dem Schloß wirtlich.“

In der warmen Stube kamen nun der Herr Amtsschösser und sein Hauslehrer daran, Bücklinge und Kratzfüße zu machen. Und durch das Städtchen drang es nun wie ein Lauffeuer, durch die Straßen und von Haus zu Haus: „Der Herzog Wilhelm ist angekommen; unser Herzog ist von Wien gekommen aus der Gefangenschaft; unser Herzog ist frei! Unser Herzog ist da!“

Herzog Wilhelm von Weimar war zwei Jahre vorher im Mai mit seinem Heere, das er mit Hilfe seines Bruders Bernhard geworben hatte, viertausend Mann zu Fuß und tausend Mann zu Pferd, zu Halberstadt erschienen und hatte sich damit als

Generallieutenant unter den Oberbefehl Christians von Braunschweig begeben. Bei der Stadt Loo im Stift Münster wurden die Evangelischen von Tilly geschlagen und versprengt. Der Herzog Christian verlor über achttausend von den Seinen. Auch Herzog Wilhelm, damals fünfundzwanzig Jahre alt, wurde von einer Kugel zu Boden geworfen. Der Feind fand ihn nach der Schlacht erschöpft und kraftlos unter den Toten. Als er in Münster wieder genesen war, ward er nach Wiener-Neustadt in Gefangenschaft geführt. Durch die Fürsprache der Kaiserin, die sich für den Gefangnen wegen seiner Geschicklichkeit im Drechseln interessierte, ward er im Dezember 1624 frei und im Januar darauf vom Kaiser Ferdinand in Wien in seine Heimat entlassen.

Nachdem sich Herr Andreas Götz mit seinem Hauslehrer dem hohen Herrn vorgestellt hatte, fragte dieser: „Was macht mein Vetter in Koburg? Waren seine Jagden verwichnen Herbst ergiebig?“

Serenissimus befindet sich wohl und ist wie ein rechter Vater um sein Volk besorgt. Die Jagden haben wieder ein Erkleckliches eingebracht, und es hat schöne Feste gegeben.“

Ist in der letzten Zeit wieder einmal ein Lustjagen zu Koburg auf dem Markt gewesen?“

Euer Durchlaucht zu dienen, jawohl! Am 7. Juni 22 ward eine große Bärenhetze auf dem Markt angestellt.“

Just um jene Zeit – etwas früher – hatten wir eine schlimme Bärenhetze bei Wimpfen. Aber der Bär Tilly hat uns übel mitgespielt.“

So plaudernd, mochte der Herzog wohl ein halbes Stündchen verweilt haben. Da begannen alle Glocken des Städtchens zu läuten, und von dem Schloßberge donnerten die Kanonen. Herzog Wilhelm begab sich ans Fenster. Ein feierlicher Zug nahte sich dem Haus und begann den feurigen Sang des Thüringers Tobias Kiel zu singen:

 

Macht auf die Thor der Gerechtigkeit!

Der Herr kömmt wieder aus dem Streit:

Laßt ihn mit Freuden singen an,

Laßt singen mit, wer singen kann,

Wir haben nun wieder den Siegesmann:

Machts prächtig,

Er ist mächtig ;

Machts ehrlich,

Er ist herrlich!

Jubilieret, laßt Gott walten,

Christ hat den Sieg erhalten.

 

Heut gehn wir aus dem Kerker los,

Der Teufel selbst uns fürchten muß,

Unsr Wehr und Waffen ist Gottes Hut,

Unsr Trost und Stärk ist Christi Blut,

Sein Geist und Sieg macht uns ein Mut:

 

Singet all

Mit süßem Schall,

Lobet Gott,

Weg ist die Not,

Jubilieret, laßt Gott walten,

Christ hat den Sieg erhalten.

 

Der Herzog hatte das Fenster geöffnet und die Hände gefaltet. Es rollten ihm Tränen über die Wangen. Diese unerwartete, so rasch bewerkstelligte, jubel- und glaubensvolle Empfangsfeier rührte ihn. Als der Sang zu Ende war, eilte er hinaus und wandte sich an den im spärlichen Laternenlicht sich abenteuerlich ausnehmenden Volkshaufen mit den Worten: „Euer Beginnen bewegt mich tief, meine treuen Königsberger! Im Kampf gegen die Feinde, die euch euern Christ gefangen nehmen wollen, hab ich geblutet. Aber Christi Blut und Gerechtigkeit hat mir die Wunden geheilet. Sie hatten mich gefangen gesetzt; der Antichrist hatte Übels vor; da habe ich gebetet: Herr Jesu Christ, dich zu uns wend! und Christi Szepter hat mich befreit. Unserm Herrn und Christ ist mein Leben geweiht. Sie wollen an ihn fahren nach des Papstes Gelüste und wollen uns Jerusalem nehmen und Rom dafürsetzen: aber das soll ihnen nimmer gelingen. Und wenn sie über euch kommen: laßt euch nicht treiben aus den heiligen Hallen des Evangelii, so unser Doktor Martinus Lutherus aufgeschlossen hat. Und wenn am jüngsten Tag der große Feldherr kommen wird, wird er euch führen in das Erbteil, so verheißen ist denen, die ihn lieb haben. Ich ziehe itzt heim; aber zur Ehre unsers Christ werde ich wieder ausziehen, so es nötig ist. Habt großen Dank für eure Liebe und Treue, so ihr an mir schwachem Knecht des Herrn erwiesen habet. Gute Nacht, ihr braven Leute!“

Darauf sprach Herzog Wilhelm noch einige Worte zu dem Herrn Superintendenten Gregorius Ewald, der an der Spitze des Zuges geschritten war, und dann gab dieser dem Fürsten das Geleite auf das Schloß. Es folgte mancher ehrbare Bürger, auch manch altes Weiblein und junges Mägdelein, mancher wackre Bursche und Bube. Auch der Amtsschösser Andreas Götz hatte sich mit seinem Hauslehrer dem Zuge angeschlossen. Trotz der Dunkelheit hob sich der stattliche Zug immer noch scharf genug ab vom Schnee, als er vom obern Stadttor die zweihundertneunundsechzig steinernen Staffeln zum Schloß emporstieg.

Das Glockengeläute und die Kanonengrüße brachten auch die Einwohnerschaft des nahen Unfinden in Aufruhr, und es liefen viel Neugierige in die Stadt, das ungewöhnliche Ereignis zu erkundschaften.

Martin Bötzinger sagte zu dem Herrn Amtsschösser: „Der Herzog weiß, wofür er gekämpft hat und noch zu kämpfen gedenkt; er ist ein frommer Mann. Der Tilly weiß aber auch, wofür er streitet; und Ihr rühmtet heute seine Gottesfurcht. Und der Herzog nennt seinen Feind den Antichrist, und der Tilly nennt seinen Feind auch den Antichrist. Es meints einer so ehrlich wie der andre. Nun ist einer von beiden im Wahn befangen, oder beide zugleich. Was haltet Ihr davon, Herr Amtsschösser? Ich denke, daß wir alle in Wahn und Täuschung gefangen liegen.“

Ei ei! Herr Bötzinger! Wie galoppiert Er in den Wolken herum! Was der Herzog vorhin dem Volk gesagt hat, daß der Papst mit seinen Pfaffen den Herrn Jesus aus dem Regiment treiben und das Volk sich unterwerfen will: das ist doch eigentlich eines lutherischen Theologen Verstand. Hat Er denn seinen Lutherus nit studieret?“

Das hab ich wohl. Aber so wir uns ohne Bedingnis dem Lutherus unterwerfen, wird er für uns der Papst von Wittenberg sein, und wiederum, so die Geister frei im Glauben schalten und walten, ein jeder nach seinem Gusto, so dürſte der Bischof Julius recht behalten, der da sagte, die Evangelischen seien ein in Klötzer zerrissener Haufen, den die Verwesung trifft, wie das Wetter einen Schutthaufen.“

Auf den Staffeln da wird mir das Disputieren zu sauer, Herr Bötzinger. Ich steige wohl mit, aber so hoch hinaus wie Er mag ich heut abend nit.“

Der Zug stand still. Der Herzog nahm am Tore von der Geistlichkeit Abschied, und der Herr Amtmann Doktor Daniel Volck und der Vogt Jonas Pürtzel und das spärliche Schloßpersonal empfingen ihren Herrn mit leuchtenden Kerzen. Das Tor schloß sich, und der Zug begann sich allmählich abwärts zu bewegen.

Als sich das Volk verlaufen hatte – nur hie und da blieben kleine Gruppen plaudernd noch einige Zeit stehen –, als die Glocken und Kanonen verstummt waren, und die winterliche Abendruhe sich wieder gefunden hatte, da saßen der Amtsschösser von Heldburg mit seinem Hauslehrer und der Stadtmedikus Elias Zink, der Stadtschreiber Johann Hetzel und noch etliche Bürger gemütlich plaudernd noch ein Stündlein beim würzigen Abendtrunk.

Beim Schlafengehen sagte der Herr Amtsschösser zu dem jungen Theologus: „Hat Ihm dies Stündlein so nit besser gefallen, als hätten wir über den Papst und den Luther disputieret?“

So so! Zwar ward man nicht satt dabei, doch auch nicht hungrig. Aber der gekochte Kohl mit Schweinsschlägel auf dem Tisch ist mir doch lieber als der Kohl, den man bei den Hökinnen auf dem Markt findet. Gute Nacht!“

Gute Nacht, Herr Bötzinger!“, erwiderte der Herr Andreas Götz. Und er brummte vor sich hin, als er in seinem Bett lag: „Wirst auch wohl noch lernen die Hökinnen nicht verachten und die Schweine, wenn du Kohl mit Schweinsschlägel essen willst.“

Martin Bötzinger wälzte sich unruhig in seinem Bett.

 

Sie gruben vierzig Jahre;

Dann starben sie zugleich:

Sie lagen auf der Bahre,

Von Harm und Harren bleich.

 

So flutete es durch seinen Kopf; er konnte nicht zur Ruhe kommen. Und aus den Fluten stieg das Edelfräulein vom Mupperger Kastrum auf gleich einer Nixe und nickte und lächelte. Und aus dem nächtlichen Dunkel trat der Pillenhändler heraus und stellte sich frech als Vertrauter und Freund vor das Bett und flüsterte: „Ist nach Rudolstadt gezogen! Nach Rudolstadt! Nach Rudolstadt!“

Der Pillenhändler verschwand, und der Landjägermeister Eckhold stand da und sagte: „Der wird Generalsuperintendent in Rudolstadt, und meine Geliebte von Rauenstein wird seine Schwieger.“

Hat der abscheuliche Pillenhändler uns damals belauscht auf der Bildergalerie beim Vogelherd? Wollt er mich extern? Auf der Bildergalerie konnt er nicht gewesen sein: die Vögel hätten ihn verraten. Sie wäre also nach Rudolstadt gezogen? Heißt sie der Landjägermeister dort auf mich warten? O, ich Unglücklicher! O, ich Elender! Soll ich fliehen? Nach Rudolstadt? In dieser Nacht noch? O, Heldburg, du bist meine Höllburg! Hätt ich dich nie gesehen! Du hast mich in Untreue gestoßen.

O, könnt ich diese Untreue versenken in einen Abgrund! Könnt ich sie vergraben! Vierzig Jahre wollt ich graben. Sie gruben vierzig Jahre; dann starben sie zugleich: sie lagen auf der Bahre, von Harm und Harren bleich. Ach, wie glücklich waren sie! Sie gruben selbander: ich muß allein graben, gemieden und verachtet von Susanna und von ... Weh! Wer kauert dort in der Ecke? Das Antlitz blaß wie Schnee – fahl – bleich von Harm! Ursula! Ursula!

Was waren die Schmerzen der Inquisitionsfolter, die der Marschall Hans in Koburg zu erleiden hatte, gegen die Pein der Gewissensfolter, unter der Martin Bötzinger litt?

Der Herr Marschall Schweigmund von Unfind in Eisenach denkt auch an die Susanna in Rudolstadt. Aber sein Gedenken ist ein Wonnerausch heimlicher Sehnsucht.

Auf dem Kirchturm in Königsberg schlug es zwei, und der Wächter sang: „Zwei Wege stehen auf: zu Gott richt deinen Lebenslauf!“

Da stand seiner Gewohnheit gemäß der Herr Amtsschösser von Heldburg auf und kleidete sich an. Nachdem er seine Morgenandacht verrichtet hatte, bemerkte er erst, daß ihm da in Königsberg ja sein Schreibtisch nebst den Akten fehlten, und daß es ihm also versagt sei, tätig zu sein. Er ging einigemal im Zimmer auf und ab; dann zog er aus seinem Mantelsack seine Schreibtafel hervor und begann mit der Aufzeichnung der am Abend stattgehabten Empfangs- und Begrüßungsfeierlichkeit. Bald aber ward es ihm unbehaglich in dem ungeheizten Zimmer, und er entkleidete sich wieder und vertraute sich noch einmal der Bettwärme an auf die Gefahr hin, sie zu langweilen. Aber sonderbar – als der Wirt seine Pechkappe aufsetzte, um Knecht und Magd zu wecken, fiel der Herr Amtsschösser noch einmal in einen festen Schlaf. Und sein Hauslehrer, den das Gewissen die lange Nacht gefoltert hatte, war endlich matt geworden und auch eingeschlafen.

Auf dem Schloß hatte sich schon längst ein ungewöhnliches Leben entwickelt. Der Herr Rat und Amtmann Doktor Daniel Volck hatte mit dem Vogt Jonas Pürtzel schon konferiert, und auf den Schloßbergstaffeln stiegen Boten auf und ab, und in den Öfen knisterte und platzte lustig das Feuer. Der Schnee glitzerte in der jungen Januarsonne, und auf der Landstraße schmausten Goldammern und Raben, was der Vier- und Zweispänner am Abend vorher verloren hatten.

Fast zugleich fanden sich Herr Andreas Götz und Martin Bötzinger im Gastzimmer ein. Der Wirt rückte seine Pechkappe und sagte: „Meine Herrn, es ist mir eine große Freude, daß ihr unter meinem Dach so guten Schlaf gefunden habt. Dem Gerechten ist gut Bett machen. Biedermanns Erbe liegt in allen Landen. Nun soll das Morgensüpplein gut schmecken.“

Nach der Morgensuppe stiegen die Herren auf das Schloß, den Herrn Jonas Pürtzel aufzusuchen. Neben den Heidenturm war von Frau Dorothea Maria, Witwe des Herzogs Johann von Weimar, an Stelle der 1611 abgebrochnen alten Kemnate im Jahre 1614 ein neuer Bau mit schönen fürstlichen Gemächern gesetzt worden. Dem gegenüber stand ein großes, steinernes Gebäude, wo die Schloßkirche war, die ebenfalls die Herzogin Dorothea Maria 1615 hatte „zurichten lassen,“ und die 1621 von dem Superintendenten Magister Gregorius Ewald mit einer Predigt eingeweiht worden war. Über der Kirche war der große Saal, auf den man aus den

fürstlichen Gemächern kommen konnte, über einen hohen Gang, dessen eigentlicher Zugang aber eine steinerne Wendeltreppe in dem achteckigen, sogenannten kleinen Schloßturm war. Es war dieser Bau 1595 von dem fürstlich Meiningischen Baumeister Hofrat Humprecht von Langen ausgeführt worden.

Älter war der auf der Nordseite davorstehende Bau mit zwei „Rundelen,“ worinnen die Amtsstube und die Wohnung der Amtleute waren. Von dem Kirchenbau lief von der Wendeltreppe an bis zu der neuen Kemnate ein Flügel „in der Rundung herum,“ der den innern Schloßhof umsäumte und die Wohnung der Amtsverwalter enthielt. In diesen Rundbau wurde der Herr Amtsschösser Andreas Götz von Heldburg gewiesen, als er nach dem Herrn Amtsvogt Jonas Pürtzel fragte. Die Heldburger Herren traten ein. Da begannen die Schloßglocken zu läuten, und sie wurden bedeutet, daß in der Schloßkirche jetzt Gottesdienst sein und der Herzog konfitieren werde.

So werde ich, wenn die Herren da ihre Geschäfte besorgen und es erlaubt ist, dem Gottesdienste beiwohnen“, sagte der junge Theologus.

Recht schön, Herr Bötzinger! Ist erlaubt. Und wie Er sieht, bin auch ich zum Kirchgang bereitet, und ich lade meinen Freund Götz hiermit ein, sich anzuschließen“, erwiderte Herr Pürtzel.

Nach dem Gottesdienst begaben sich die Herren wieder auf des Vogts Wohnung, und nach Verlauf einer Stunde waren die Angelegenheiten, die Herrn Götz nach Königsberg geführt hatten, erledigt. Herzogliche Tafel war an diesem Tag nicht, weil

Seine Durchlaucht zur Beichte gegangen war und am folgenden Tag das heilige Abendmahl genießen wollte, „dessen er lange Zeit in seinem Arrest war beraubet gewesen.“ Denn der Herzog hielt sich streng.

Herr Jonas Pürtzel begab sich mit den Herren von Heldburg hinunter in die Stadt zum Wirt mit der Pechkappe, wo sie sichs bei einem einfachen Mahl wohl sein ließen.

Der Herr Amtsschösser hatte schon seinem Kutscher Befehl gegeben, die Pferde zur Abfahrt in Ordnung zu bringen, und fragte seinen Freund: „Wann werdet Ihr wieder abreisen nach Rügheim?“

Kanns nit auf den Tag bestimmen, da ich erst noch einen Abstecher nach Unterschwappach zum Herrn von Schaumberg zu machen habe“, antwortete der Gefragte.

Martin Bötzinger verfärbte sich, als er diesen Ort und den Namen von Schaumberg nennen hörte.

Der Herr Amtsschösser fragte: „Was habt Ihr mit dem Herrn von Schaumberg in Unterschwappach zu pflügen?“

Stehe schon seit mehreren Jahren auf vertrautem Fuß mit dem Herrn. In verwichnem Sommer habe ich allda in Unterschwappach seltsame Bekanntschaft gemacht, und hat sich dermalen etliche Tage vor meiner Ankunft dort ein absonderlich Abenteuer ereignet.“

Jede Faser in Martin Bötzinger kam in Rebellion. Sein Prinzipal ward neugierig und fragte: „Darf man hören von dieser Bekanntschaft und vernehmen des Abenteuers Hergang?“

Der Herr Jonas Pürtzel ließ seine Augenlider sinken und schlug mit den fünf Fingern seiner linken Hand einen Wirbel auf dem Tisch. Plötzlich fuhr er mit der flachen Hand über die Stelle, wo die fünf Finger getrommelt hatten, als gäb es da Spänlein wegzuwischen, riß die Augen auf und begann in etwas gedämpftem, aber bedeutungsvollem Ton also zu erzählen: „Die Burgrudera in Frankonien sind meine Lustschlösser; da fühl ich mich freier als in den bewohnten Schlössern. Aber in dem Schloß zu Unterschwappach hat mirs allezeit gut gefallen, so ich mit dem alten Herrn allein zu tun gehabt. Im vorigen Sommer wars nun da nicht ganz nach meinem Gusto. Die Familie des alten Herrn hielt sich zu jener Zeit in Mupperg auf, und waren da auf Unterschwappach die gnädige Frau Erdmute von Schaumberg auf Rauenstein mit ihrer Tochter Susanna und der Herr Marschall Schweigmund von Unfind mit seinem Diener Hinz. Und als der sonderbare Marschall mit seinem Hinz am Tage nach meiner Ankunft abgereist war, kam der Landjägermeister von Rudolstadt an. War in jenen Tagen nicht so behaglich für mich auf Schloß Unterschwappach als sonst.“

Martin Bötzingers Blick war unbeweglich nach einer Zimmerecke an der Decke gerichtet, als schwebe da drohend die große Fledermaus. Mit der Rechten klammerte er sich an der Stuhllehne, mit der Linken an der Tischplatte an; denn das Haus des Wirtes mit der Pechkappe begann sich langsam zu drehen.

Wer war der Marschall Schweigmund von Unfind?“, fragte Herr Andreas Götz; „ein absonderlicher Name, der mir noch nie zu Ohren gekommen, noch in Urkunden aufgestoßen ist!“

Weiß es niemand, auch nicht der Herr von Schaumberg.“

Aber er war doch als Gast auf Unterschwappach! Das ist ja fast ein Ritter geheimnisvoller Art!“

Justement! Dieser Marschall Schweigmund von Unfind mit einem Fuchsschwanz auf dem Hütlein ritt einen edeln Fuchs und schoß mit seinem Pistol sicher wie ein Hexenmeister, und sein Diener Hinz mit seinem viereckigen Bart ritt einen edeln Rappen und sah so trotzig drein, als ob er vor lauter Hochmut seine Dummheit nicht erkennen könnte. Diese beiden hatten im Wald eine Horde Schnapphähne belauscht und waren zum Herrn von Schaumberg nach Unterschwappach gekommen und hatten ihm verraten, daß das fahrende Kriegsgesindel das Schloß zu plündern beschlossen habe. Und der Herr Marschall hat sich zur Verteidigung angeboten und hat andern Tages die Schnapphähne in die Flucht geschlagen, wobei er verwundet und nachher von den Damen gepflegt worden ist. Der Herr von Schaumberg verehrt den absonderlichen Marschall wie einen Gott und schreibt zu seiner Verherrlichung eine Chronica schnapphania, zu der ich Zeichnungen geliefert habe.“

Martin Bötzinger brauchte sich nicht mehr an Tisch und Stuhl anzuhalten: das Wirtshaus stand wieder still. Aber in seinem Kopfe tanzten die Gedanken die Siebensprüng.

Ei, da kommt ja gar ein connexus literaris zum Vorschein,“ sagte verwundert Herr Andreas Götz, „und welche Bewandtnis hat es mit dem Landjägermeister von Rudolstadt?“

Da schraken die Siebensprünggedanken des Theologus zusammen zu einem festen Knäuel und übten einen schmerzhaften Druck auf sein Gehirn aus, sodaß er mit der Hand nach der Stirne fuhr.

Herr Jonas Pürtzel aber säumte nicht, Aufschluß zu geben: „Der Landjägermeister Eckhold von Rudolstadt hatte sich einst heimlich mit der Erdmute von Schaumberg kopulieren lassen, weil der Adel sich dem Bürgertum verschlossen hatte, und die Susanna ist seine rechtskräftige Tochter. Lange Jahre hat sich das Geheimnis gehalten, und Mann und Weib und Tochter waren kräftiglich auseinander gehalten worden: da hat endlich der Landjägermeister sich Courage gefaßt und hat den Burgvogt von Rauenstein bestürmt, und weil der Reichsgraf Günther von Rudolstadt seine Vermittlung beim Kaiser aufs Brett gesetzet hat, so ist endlich der

Scheidezaun eingerissen worden, und der Landjägermeister hat von Unterschwappach Weib und Kind nach Rudolstadt heimgeholt.“

Da kam der Generalsuperintendent von Rudolstadt im Talar und mit gekräuseltem, weißem Radkragen um den Hals anmarschiert und faßte den armen Bötzinger am Ohr, sodaß er beinahe laut aufgeschrieen hätte.

Herr Jonas Pürtzel aber erzählte weiter: „Und ich glaube, daß auf diese sonderbare Hochzeit bald eine Hochzeit in optima forma folgen wird. Denn da der Marschall Schweigmund von Unfind von Unterschwappach abreisete, kam ich von einem Morgenspaziergang und strich durch das Gebüsch in der Wiese und sah das Edelfräulein Susanna am Weg und die Reiter kommen. Und der Herr Schweigmund von Unfind hielt bei dem Fräulein an und hieß seinen Hinz vorausreiten und stieg ab. Was ich dann gesehen hab, die Umarmung und die langen Küsse, das weiset alles auf meine Vermutung hin.“

Ist Euer Marschall Schweigmund von Unfind ein Aventurier, oder seid Ihr einer, oder seid Ihr beide desgleichen? Ihr habt mir da Rittergeschichten erzählt und Weibermärlein, so ein Buch gäben trutz Eurer Chronica Schnapphania“, rief lachend der Herr Amtsschösser von Heldburg und erhob sich. „Und mein Kutscher steht draußen bei den Pferden am Schlitten und wird irre an seinem Herrn.“

Martin Bötzinger aber hielt sich wieder fest an Stuhl und Tisch an, denn das Wirtshaus und Königsberg tanzten einen lustigen Schleifer.

Während der Herr Amtsschösser von seinem Freund Pürtzel Abschied nahm, näherte sich der Wirt, mit der Pechkappe in der Linken, dem verstörten Theologus und legte ihm die Rechte auf die Schulter: „Guter Freund, wenn Er etwa Bauchgrimmen haben sollte, könnt ich Ihm mit einem guten Tränklein dienen; hab mirs von Würzburg aus der Apotheke mitgebracht, ist gut gegen kalte Füß, gegen Husten, Leibschneiden, Durchfall und alle Gebresten.“ Martin sah den Wirt erschrocken an und erhob sich. Sein Prinzipal nebst Freund schritten durch die Tür, und er folgte mechanisch. In der Hausflur trat ihm der Wirt entgegen mit der Pechkappe in der Linken und einem kleinen Gläschen voll auffällig duftender Flüssigkeit in der Rechten. „Trink Er das! 'S wird Ihm gut tun“, sagte der Wirt. Martin goß den Inhalt des Gläschens hinab; er begann zu husten, und seine Augen füllten sich mit Wasser.

Herr Bötzinger!“, rief der Herr Amtsschösser, der schon im Schlitten saß. Jonas Pürtzel schüttelte dem Verstörten die Hand zum Abschied, und bald sauste das Gefährt davon.

Der Herr Diakonus Matthäus Göring studierte eben in des Aneä Sylvii historischem Werk in Münchsschrift auf groß Regalpapier gedruckt, als die Herren von Heldburg unter lustigem Schellengeläut vorüberfuhren.