Martin Bötzinger. Ein Lebens- und Zeitbild aus dem 17. Jahrhundert

 

Siebzehntes Kapitel

Ein Mehltau

 

Morgens fütterte und striegelte der Zacher an dem Gomperthäuser Fritz herum, als hätte er sich die Aufgabe gestellt, einen andern aus dem Alten zu machen, und der Alte spitzte die Ohren vor Verwundrung und kam auf die Vermutung, es müsse für ihn ein neues Leben aufgehen. Als er jedoch in dem wankenden Karren seinem Gompertshausen zuleierte, verloren sich allmählich die Striegelspuren des Zacher, und des Fritzen Rock ward wieder flausig.

Fritz“, redete Elsa den Gesellen an, „heut abend sollstn guts Fütterla krieg; 's giebt nen Habervorrat, das is zu toll, Friz! Jüa!“ Ob er wirklich diese hafergeflügelten Worte verstanden hatte, oder ob er sich freute, anstatt des Zachers Schimpfreden wieder die holde Stimme seiner Herrin zu vernehmen: der alte Fritz warf den Kopf in die Höh und wieherte.

Alter Racker, sticht dich öpper der Heldburger Haber schon?“, schmunzelte Elsa.

Fritz stand wieder in seinem Stall und fühlte sich so wohl wie ein Gelehrter in seiner Studierstube, und die Elsa hatte sich kaum aufs Lager geworfen, als die wieder in einen Schäfer und einen Bauer verkleideten Spitzbuben Schmalhans und Dohle bei ihr eintraten.

Kommt zu bald; aber es ist gut, daß ihr kommt!“, rief ihnen Elsa zu und erhob sich. „Euer Marschall wird heut noch bei mir einkehrn; legt euch auf die Lauer und holt hernach seine Befehle da ein.“

Schmalhans rief: „Viktoria!“ und drehte vergnügt seinen gewaltigen Schnurrbart, und die Dohle schrie: „Vivat!“ und nickte dem Kameraden verschmitzt lächelnd zu. Im Fortgehen sagte Schmalhans: „Mein Rat im Konvent war gut!“ Angegriffen von den Aufregungen, die diese Tage gebracht hatten, war Elsa auf ihrem Lager umgesunken und eingeschlafen.

Sie und ihr Fritz waren die einzigen Insassen des Häuschens, von dem aus sich so mancher geheime Schicksalsfaden spann. Und doch spielte neben diesen beiden Einzelleben noch ein lustiges Treiben zahlloser kleiner Wesen in dem Häuschen in einer Region, wohin den Fuß zu setzen der Herrin nie vergönnt war. In den Ritzen der getäfelten Stubendecke bargen sich vor dem Tageslicht Legionen der hellbraunen Schaben, gegen die der Einbläser mit der Giftblase in der Ledertasche zu Felde zieht, weil niemand einen Begriff vom Zweck ihres Daseins hat; der gute Deutsche nennt sie Russen. Sie scheuen das Licht, und darum stecken sie mit den Köpfen im Dunkel der Ritzen und Spalten und kehren dem Tag den hintern Teil zu, wo die Weibchen die Brut tragen, sodaß eine solche russengespickte Ritze einen gar wunderlichen Anblick bietet. Sobald die Nacht anbricht, wird es lebendig unter diesem Volk, es beginnt ein reges Treiben und Rennen an der Decke.

Elsa schlummerte noch, als es an ihrer Decke lebendig wurde. Da kam aus der Kammer Herr Niedlich und Frau Flink, ein Spitzmauserich mit seiner Gespielin. Sorglos und übermütig singend und springend, sich neckend und jagend, taten sie, als wäre das Häuschen um ihretwillen da: der Herr Niedlich und die Frau Flink sahen die Elsa Geßnerin immer als eine „Vorübergehendanwesende“ an. So es nun eine lichtscheue Schabe versah und aus ihrer Russenregion herabstürzte in die Region der Spitzmäuse, war es um sie geschehen. Und es kam an einem Abend sehr oft vor: kein Wunder, wenn sich mit Einbruch der Dunkelheit Herr Niedlich und Frau Flink so ausgelassen in ihren Salon stürzten. Obgleich solcherweise ein Russe nach dem andern verspeist wurde, ward der Russen doch kein Ende; denn des Volks war viel, und es gab auch nicht die Nihilistenseuche.

Als Elsa die Augen auftat, sangen Herr Niedlich und Frau Flink eben ein äußerst zartes Duett. Sie schwelgten in Liebesbrunst, und mit überschwänglich-dramatischem Ausdruck glitten sie durch die wunderbarsten Modulationen bald in langgezognen Tönen, bald im delikatesten Staccato.

Wenn ihr singt, passiert was“, brummte Elsa und erhob sich vom Lager. Herr Niedlich und Frau Flink machten sich sofort aus dem Staube; denn sie waren der Rumorenden nicht hold und konnten ihr Brummen nicht vertragen. Kaum waren sie dem unterirdischen Reich ihrer Sippenzeugung zugeeilt, knarrte die Haustür. Elsa sprang auf und blieb gespannt inmitten der Stube stehen. Die Stubentür tat sich auf, und herein trat Hans, der Spitzbubenmarschall. Obgleich es dunkel war, hatte Elsa ihn doch erkannt und stürzte ihm freudig erregt entgegen.

Hatten Herr Niedlich und Frau Flink vorahnend in ihrem Duett ein schwaches Abbild geben wollen von dem, was jetzt in diesen beiden Herzen vorging? Das Herz der Elsa kannte nicht die „Manneslieb.“ Und der unglückliche Spitzbubenmarschall war ja wohl einmal durch ein weibliches Wesen mit Sehnsucht erfüllt worden, durch Ursula Böhm, die er mehrmals zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte; aber die war vor ihm wie vor einem Verpesteten zurückgeschreckt. Die anziehende Gewalt des Sippenblutes aber gab es zwischen Elsa und Hans auch nicht. Aber die Flammen eines Liebesbrandes schlugen doch hoch auf in diesen beiden Herzen.

Dein Scheiterhaufen is ausgeblasen, Hans! Bist gerettet! 'S Herrgottle hats deiner Mutter zu Gefalln getan!“, stammelte Elsa weinend.

Frei!“, stieß Hans halblaut hervor, als hätte er's der Welt zu verheimlichen, was ihm widerfahren war.

Ach, das Elend, das Elend, das über uns kommn war!“, weinte die Elsa weiter.

Dem Hans wurde das Sprechen schwer; es stürmte in ihm, und des Sturmes Brandung brach dumpf in die heftig artikulierten Worte aus: „Frei, Elsa! Vor zwei Tagen in der Folterkammer, heut frei im trauten Stübchen meiner guten Elsa! Was ist passiert? Ihr, Ihr habt mich befreit, Elsa! Sonst keine Seele auf der weiten Erde liebt mich!“

Noch einer! Noch einer liebt dich, Hans! Und durch den bist du frei wordn. Durch mich arms, elends Mensch bist du in Ketten kommn; ach, wie hab ich schon gelitten und gflennt darüber! Gerettet hat dich der Martin! Hasts ghört, Hans? Der Martin Bötzinger!“

Dem Spitzbubenmarschall vergingen die Sinne; er wankte, und Elsa führte ihn rasch an ihr Bett, auf das er niedersank. „Sola!“, sagte Elsa und begann Feuer zu schlagen.

Und die dich den Geleitsreutern in die Kralln geliefert habn, warn in Koburg und habn zum Schöppenstuhl gesagt: Entweder, oder! Und ich habs ihnen gsagt, so müßt ihrs machn, sonst geht alles zu Grund!“

Der Zunder hatte längst gefangen; aber Elsa schlug fort, als ob sie mit Stahl und Stein die Energie hätte versinnbildlichen wollen, die sie in diesen Tagen entwickelt hatte. Wenn sie etliche Schläge getan hatte, wandte sie sich immer wieder erzählend nach dem Hans hin. „Es wär alles verlorn gewesen: der Bötzinger, die Urschel, der Ratsherr und seine gute Frau und – und ich. – War 'n saurer Weg auf die Festing! Und die Urschel in der Angst, ach du liebstes Gottle!“ Plötzlich humpelte sie hastig, in der einen Hand den Stahl, in der andern den Stein, nach der Tür. Diese tat sich auf, und aus dem Dunkeln hoben sich die Gestalten des Schmalhans und der Dohle heraus. Zwar waren sie nicht zu erkennen, aber Elsa flüsterte ihnen zu: „In einer Viertelstund kommt wieder!“ Der Zunder war wieder erloschen, und Elsa schlug weiter. „Aber der Martin – ach, der brav Martin! Der arm Bötzinger!“

Da sprang der Hans auf vom Lager und erfaßte die beiden Arme der Elsa und rief: „Der Martin Bötzinger hat mich befreit? Wie ist das möglich? Elsa, Ihr foltert mich härter als die in Koburg!“

Stille, Hans, von dem Foltern! 'S wird nix mehr gfoltert; und da bei mir gar net!“

Was hat der Bötzinger getan? Sprich, Elsa, gschwind!“

Der Bötzinger hat sich aufgemacht auf den Straufhain am Sonntag früh, wie die erste Lerch aufgestiegn is, is zu deinen Spitzbubn gangen, daß sie ihm helfen solltn, dich zu retten. Und deine Spitzbubn habn ihn in Eisen gschmiedt und in den Keller geworfn. Drobn liegt er noch – 'zund noch.“

Der Martin Bötzinger gefangen auf dem Straufhain?“

Gschmiedt in Eisen!“, schrie Elsa.

Wollte mir helfen?“

Hat dir gholfen! War er net, wars aus!“

Ihr foltert mich! Ah, die Koburger Folter war eine Spielerei!“

Hans, Hans! Nix gfoltert! Der Schöppenstuhl hat dich gehabt – und deine Spitzbubn habn den Martin gehabt und habn zu mir gsagt: Der jung Pfaff wird gspießt und aufgehängt, wenn sie unsern Marschall verbrennen; schreis dem Heldburger Superdent ins Ohr! Und ich habs gleich besorgt. Da is der Superdent mit dem Ratsherrn flugs nach Koburg gefahrn. Und da bist du nun! Weißt du, was nun zu tun is, he? Unsers is besorgt, besorg nun deins! Der Schmalhans und die Dohle kommen gleich.“

Hans sah nun klar. Ein Sturm tobte in seinem Innern. Zu Ruhm und Ehre sich durchzuringen und den Bötzinger im Elend zu sehen, hatte er sich gesehnt; dann hatte er den einstigen Spielgenossen als Freund an die Brust drücken wollen: nun war er selbst kaum dem Elend, dem Tod entgangen, aber noch weit entfernt von Ruhm und Ehre, und Martin Bötzinger hatte schon das Elend zu kosten bekommen – aus Liebe zu dem Sohn der verbrannten Hexe!

Hinauf zu ihm, daß wir Brust an Brust gemeinsam fühlen, was Freiheit ist! - Ach, ich kann ihm nicht unter die Augen treten! Er ist edel und brav! Ich bin ein Räuberhäuptling, ein Verbrecher, ein Gebrandmarkter! – So soll er mich nicht sehen! – Durch Taten muß ich abwaschen den Schmutz, mit dem mich mein vergangner Lebenswandel besudelt hat!

Hans stöhnte und sank auf den Schemel der Elsa nieder. Nach einer Pause fuhr er auf: „Elsa, wie wars mit der Ursel und mit dem Ratsherrn?“

Die Urschel ist des Ratsherrn Michel Böhms Kind.“

Weiß das, Elsa! Warum war die Ursel in Angst?“

Wenn der Martin auf dem Straufhain in Ketten liegt, soll die Urschel net in Angst sein? Wenn der Martin net frei kommt, stirbt sie. Die sind für einander bestimmt. 'S Herrgottle hat sie für einander geschaffen. Drum war auch der Ratsherr in Angst und ist mit dem Superdent nach Koburg gefahrn zum Schöppenstuhl. So stehts, Hans!“

Da traten Schmalhans und die Dohle ein. „Wir haben unsern Marschall sprechen hören; Viktoria!“, rief Schmalhans; und die Dohle schrie: „Vivat! – Mein Rat im Konvent war gut, Herr Marschall!“

Hans erhob sich und sagte halblaut, aber erregt: „Geht schleunig auf den Straufhain, befreit den Gefangnen und geleitet ihn sicher zur Feste! Aber so schnell als möglich! Lauft für euern befreiten Marschall, so gut ihr könnt! – Der Schatzmeister soll eiligst mit meinen Pferden hierher kommen! – Ab!“

Was gafft ihr noch?“, brummte Elsa, „lauft wie der Wind! Ihr habt net die Gicht!“ Sie riß die Tür auf und rief den Davoneilenden nach: „Was ihr könnt! 'S giebt 'n Douceur!“

Der Zunder war wieder erloschen, und Elsa schlug weiter. „Ließ mirs gefalln, wenn die Dohle Flügel hätt. – Hans, bleibst etliche Tag bei mir, daß du wieder zu dir kömmst. Bei meinm Fritz is Platz für deine Gäul, und Haber hab ich zwei Säck. Weiß net mehr, wo mir der Kopf steht; wirst Hunger habn. Gleich, Hans! Mach dir 'n Eiergschmeiß; das ist bald fertig.“

Endlich brannte das Lämpchen. Elsa zündete einige große Schleißen an und machte Feuer auf dem Herd. Dann humpelte sie mit der ihr möglichen Eile wieder nach der Stube zurück und stellte sich vor Hans hin, der in Gedanken versunken da saß. „Bist älter gworden. Wirst auch wieder jünger: geh nur hin, wo du hin gehörst. – Und wenn die Zeit gekommen is, daß die Geleitsreuter sich auf die Seite stelln, wenn du kommst, und präsentiern: nachher will ich dich wieder sehn, wenn mich 's fahrend Ding net abgewürgt hat; denk dran!“

Euch vergeß ich nicht, Elsa! Ihr seid meine zweite Mutter. Wenn ich mich sehen lassen kann, komm ich“, entgegnete Hans weich.

Daß meine Butter net anbrennt!“, brummte Elsa und eilte in die Küche.

Als das Eiergeschmeiß verzehrt war, sagte Elsa: „Nun leg dich auf mein Bett, bis deine Gäul kommn; ich hab ausgeschlafen.“

Der müde Hans befolgte den Rat der treuen Elsa und schlief bald fest. Elsa ergriff ihr Lämpchen und ließ ihr schönes, dunkles Auge einige Sekunden auf dem Schlafenden weilen; dann stellte sie ihr Lämpchen wieder auf den umgestürzten Topf auf der Tischecke und setzte sich auf ihren Schemel und weinte still vor sich hin.

Als der Schatzmeister mit den Pferden ankam, begann man zu füttern, und als das Morgenglöcklein läutete, ritt Hans mit seinem Schatzmeister zum Dorf hinaus. Er war nicht zu bewegen gewesen, länger in Gompertshausen zu bleiben, und hatte der Elsa aufgetragen, denen vom Straufhain zu sagen, wenn sie sich nach ihm erkundigen würden, daß sie entlassen seien.

 

Der Herr Amtsschösser Andreas Götz hatte sich nach unruhigem Schlaf pünktlich um zwei Uhr vom Lager erhoben. Er riß das Fenster auf und sah verdrießlich in die nächtliche Landschaft hinaus. „Wollt was andres wetten“, murmelte er, „die Kujone da drüben haben sich den dummen Tölpel gefangen!“ Dabei streckte er zornig die Faust aus in der Richtung nach dem Straufhain. Er ging erregt im dunkeln Zimmer auf und ab. „Aber so gehts, wenn der Mensch hingeht, wo er nit hingehört. Was hat ein junger Theologus am Sonntag im Wald zu tun? Er gehört in die Kirch und nit auf Jäger- und Spitzbubenwege! Das ist wild Fleisch, das in Jena gewachsen ist; muß mit Teufelsdreck ausgebrannt werden! - Der Eisentraut von Ibind scheint mir noch ärger in wilden Wucher geschossen zu sein; möcht ihn net im Haus haben als Informator! – Vom Bötzinger hätt ich das net erwart't; aber der Herr Superintendent hat mir da verwichen schon so was von einem Skrupelkopf hingeworfen. – Werds ihm sagen, daß er das wild Fleisch nur nit schonen soll. – Was geht das aber die Spitzbubn, die vermaledeiten Galgenstrike an? Habn mir schon die Burg ausgeflönt die gottverbrannten Halunken! Nun auch noch den Hauslehrer kapern? Wird sich nit machen! Gehorsamer Diener, ihr Hamsterwänste! Soll ihn wohl mit schwerem Geld loskaufen? Prost die Mahlzeit, ihr infamen Hunde! Wenn bis neun Uhr mein Hauslehrer nit im Haus ist, will ich schon Feuer dahinter machen an der rechten Schmiede! So nen Bürgermeister lachen die Herrn drin in Koburg amend gar aus. Aber der Amtsschösser Andreas Götz läßt sich nit an der Nasen rum führn; der spricht ein ander Wörtle! Morgen wird gstreift, bin gut dafür!“ – An diesem Morgen brannte es auf der Feste in allen Ecken. Dem Herrn Amtsschösser war nichts recht zu machen. Um neun Uhr setzte er sich auf seinen Schecken und ritt nach Koburg. Es war ein scharfer Ritt. Als der Herr Amtsschösser im Schritt durch das Tor der Residenz ritt, präsentierte ein stattlicher Spaziergänger sein silberbeschlagnes Rohr und rief: „Guten Morgen, Herr Amtsschösser! Ein Blitzreuter! Habt Euern Schecken schön gepudert!“

Grüß Euch Gott, Meister Örtlein! Geht nit vorbei beim Thorbeck!“

Beim Thorbeck, ja, beim Thorbeck!“

Beim Thorbeck hatten sich eben der Herr Superintendent Sebaldus Krug und der Ratsherr Michael Böhm niedergelassen. „Herr Böhm!“, sagte der Herr Superintendent, „ist schneller gegangen, als ich gedacht habe. Der Herr Ordinarius vom Schöppenstuhl ist ein Mann von hohem Geist.“

Der Herr Böhm wollte eben auch seine Meinung äußern, fuhr aber plötzlich auf und rief: „Ei, der Herr Schösser reitet eben ein; wird doch nichts passiert sein? Unglück kömmt selten allein.“

Wir werden den Herrn Amtsschösser einweihen müssen in unser Geheimnis. Ob er nicht auch in Sachen seines Hauslehrers hier ist?“

Schon trat Herr Andreas Götz ein. Aus seinem Ernst las der Herr Superintendent die Bestätigung seiner Vermutung und schickte sich an, eine Aufklärung einzuleiten, wurde aber von dem eintretenden Meister Örtlein mit dem Ausruf unterbrochen: „Schwer End! Da ist der ganze Hof von Heldburg! Hahaha!“

Meister Örtlein“, nahm der Herr Superintendent das Wort, „Ihr werdet alle Tage jünger! Freut mich über die Maßen, Euch so munter zu sehen!“

Dem Heldburger Hof zu Ehren soll über eine Stunde lang weißer und roter Wein fließen, wenn auch nicht aus einem Brunnen wie vor fünf Jahrn in Prag bei der Krönung des Königs Friedrich! Hahaha!“

Meister Örtlein setzte sich zu den Herren von Heldburg. Keiner von ihnen zeigte Laune, auf die Scherze des freudig erregten Meisters einzugehen. Es wollte kein Fluß in die Unterhaltung kommen. Und als Meister Örtlein den Mund spitzte und mit seinem spanischen Rohr zwischen den Beinen zu quirlen begann, und der Herr Amtsschösser ein Gesicht machte, als wär's inwendig herum nicht richtig mit ihm, da hielt es der Herr Superintendent an der Zeit, auf das zu kommen, was den „Hof von Heldburg“ in die

herzogliche Residenz geführt hatte und dem Humor den Weg verlegte. In halblautem Ton wandte er sich an den Herrn Amtsschösser: „Ich vermute, daß Ihr in derselben Angelegenheit hierher geeilt seid, die uns bewogen hat, gestern schon aufzubrechen. Ihr sollt Auskunft erhalten; gestattet mir aber, daß ich mich nicht direkt an Euch wende, sondern dem Meister Örtlein die Rücksicht schenke, die wir ihm schuldig sind.“

Das spanische Rohr stand still, und der gespitzte Mund öffnete sich halb. Der Herr Superintendent fuhr fort: „Meister Örtlein, Ihr seid ein ehrenfester, kerngesunder und tapferer Bürger, für den man kein Riechbüchslein parat zu halten braucht. Ihr werdet mithin nicht allzusehr erschrecken, wenn ich Euch kund tue, daß Euer ehemaliger Pflegling, der Herr Martin Bötzinger, ein wenig Malheur gehabt hat. Als Ihr ihn zu Pfingsten auf der Heldburg besucht habt, war die Rede von einer Spitzbubenbande, die sich auf dem Straufhain eingenistet habe, und daß der Hauptmann ein Schwarzkünstler sei. Der ist mit Gottes Hilfe gefangen und nach Koburg gebracht worden.“

Habs ghört, Herr Superdent! Und der Martin?“

Ja, der Martin Bötzinger ist den Spitzbuben in die Hände gefallen. Und die wollen ihn nur freigeben, wenn 'ihr Marschall' freigegeben wird.“

Der Herr Amtsschösser schlug auf den Tisch und rief: „Die Kränk sollen sie kriegn, diese infamen Halunken!“ Und dem Meister Örtlein war sein spanisches Rohr entfallen: blaß vor Schrecken sah er den Herrn Superintendenten mit großen Augen an. Dieser fuhr fort: „Wir sind hierher geeilt und haben es so weit gebracht, daß man den Spitzbubenmarschall losgelassen hat; und er hat versprochen, daß er das Land alsbald verlassen werde. Somit ist denn auch der Herr Martin Bötzinger, Euer Pflegling, Meister Örtlein, Euer Hauslehrer, Herr Amtsschösser, gerettet!“

Haltet Ihr die Spißbuben für so ehrlich, Herr Superintendent?“, fragte der Amtsschösser.

Ihr Hauptmann war sehr ergriffen, als ihm der Beschluß des Schöppenstuhles eröffnet wurde, und er hat gelobt, 'den jungen Menschen', dessen Namen ich vorsichtshalber verschwiegen habe, aus den Händen seiner Spitzbuben zu befreien und nach Haus

zu schicken. Ferner hat er – wie schon vermeldet – gelobt, alsbald über die Grenze zu gehen. Er hat mir gebeichtet und hat das Abendmahl empfangen. Wir haben eine Seele gerettet und preisen Gottes weisen Rat! Und der Herr, der die Menschenherzen lenket wie Wasserbäche, wird den einstmaligen Spitzbuben mit starker Hand führen auf dem neuen Pfad. Und unser Martin Bötzinger wird morgen auch den Geburtstag zu einem neuen Leben feiern.“

Das walte Gott, der Allmächtige!“, seufzte Meister Örtlein auf, und es ward ihm wieder leichter zu Mut, sodaß er sein entfallnes Rohr wieder aufhob.

Aber, Herr Superintendent“, fragte der Amtsschösser, „wie seid Ihr zur Wissenschaft dieser Seltsamkeiten gelanget?“

Die lahme Magd von Gompertshausen war die Botin zwischen dem Straufhain und Heldburg.“

Wer ist die lahme Magd von Gompertshauſen, Herr Superdent? Muß in Gold gefaßt werden, Herr Amtsschösser!“, rief begeistert Meister Örtlein.

Die Antwort blieb man schuldig; denn eben trat der Edle Dietrich von Birkig ein. Der Herr Superintendent, der Herr Amtsschösser und Meister Örtlein, die den Eintretenden kannten, erhoben sich und grüßten achtungsvoll; der Ratsherr Michael Böhm tat desgleichen.

Der Edle Dietrich von Birkig nahm Platz bei den Herren, und sein erstes war die Frage: „Herr Amtsschösser, was macht Euer Herr Informator?“

Der Herr Andreas Götz ward verlegen, er mochte doch nicht sagen, daß er im Spitzbubenverließ auf dem Straufhain liege, und zu antworten: „gut!“ widersprach seiner Wahrheitsliebe. Er antwortete also aus dem Ganzen: „Unterrichtet recht wacker und hat meine Kinder ganz charmant an der Leine“ – fügte aber zu dieser Auskunft die Bemerkung: „In Birkig muß es anders gewesen sein; denn Ihr habt ihn nit lang gehabt.“

Das hielt der Edle und Gestrenge Dietrich von Birkig aber für einen kleinen Hieb, also daß er etwas spitz entgegnete: „Ein Liebeshandel mit einem Edelfräulein in Mupperg hat die gnädige Frau von Schaumberg also alterieret, daß mein zartes Gemahl um des lieben Friedens willen die Entlassung des Herrn Bötzinger für das beste gehalten hat. Und um der Kinder willen durft ich nicht nein sagen, sintemal sie Augen und Ohren haben, so schärfer sind als die der Alten.“

Dem Meister Örtlein entfiel wieder das silberbeschlagne Rohr. Der Herr Amtsschösser fuhr sich in den Bart und brummte: „Wildes Fleisch von Jena!“ Aber des Ratsherrn Michael Böhms Gesicht wurde einen guten halben Schuh länger: „Ein Liebeshandel?“, grübelte er, „der Herr Bötzinger einen Liebeshandel? Hm, hm! Muß die Urschel warnen, ehs zu spät ist Hm, hm, hm!“ Der Herr Superintendent wandte sich lächelnd an den Herrn Amtsschösser: „Meine, daß ihm etliche Jahre Festung wohl bekommen werden. Meine Herren, diesen Becher auf die Gesundheit des Martin Bötzinger!“

Meister Örtlein trank die Nagelprobe, hob sein spanisches Rohr wieder auf und schenkte sich wieder ein. Der Herr Amtsschösser fühlte sich geschmeichelt, und der Edle von Birkig freute sich zwar dieser guten Wendung, kaute aber doch an dem „Vivat“ auf seinen ehemaligen Hauslehrer, von dem ihm der eigentliche Grund verborgen blieb, als an einer bittern Pille.

Dem Ratssherrn kam der Wein plötzlich recht sauer vor; denn es war ihm ein Mehltau in die Saat und auf die Zunge gefallen.

Nun, mein lieber Herr Amtsschösser!“, sagte nach einer Weile der Herr Superintendent, „wir wollen in den Grünen Baum und anspannen lassen; wollt Ihr den Vorreuter machen? Euer Geschäft hat sich ja wohl erledigt.“

Scheint mir, als wär ich in unsrer Affaire zum Nachreuter bestimmt, obschon ich ans Frühaufstehn gewöhnt bin. Sollt sichs aber fügen, daß ich Euer Hochwürden doch überholte, so werdens Eure Gäul ja nit übel aufnehmen.“

Ihr schwingt heut den Morgenstern, lieber Herr Amtsschösser; Euer Leistner ist mir lieber!

Und gefüllte Säuohrn, hahaha!“, lachte Meister Örtlein.

Auf der Hochzeit, die der Ratsherr Michael Böhm in futuram rei memoriam noch auszurichten hat, soll sichs bei Leistner und gefüllten Säuohrn in Hüll und Füll erfüllen, daß Euer Hochwürden und Meister Örtlein in genere ein Paar tapfre Streiter vor dem Herrn sind.“

Und wenn die Hochzeit zu weit hinaus fallen sollte, könnt etwan nicht für solch tentamen ein terminus medius gesetzet werden? Dürft Johanni als recht passend erscheinen. Meister Örtlein würd sich in praefixo termino auf monte sereno sicher einfinden.“

Der Herr Amtsschösser schlug in die dargebotne Rechte des Herrn Superintendenten und sagte lächelnd: „Soll gelten! Aber laßt mir Euern Amtsbruder, den Pater Willius, mit seinem Kumpan nit wieder zwischen meine Vorratskammertüren fallen!“

Herr Amtsschösser!“, entgegnete der Herr Superintendent, „ich weiß nicht anders, daß mein ehemaliger Amtsbruder auf der Festung in den Schafstall gefallen war. Die neue Bruderschaft wird ihm wohl mehr zusagen als die ehemalige.“

Der Ratssherr Michael Böhm, der auch im Begriff stand, sich vom Herrn Amtsschösser zu verabschieden, konnte trotz des Mehltaues nicht umhin, seine Trappstädter Erfahrungen aus seiner Pfingstreise auszukramen, und fügte hinzu: „Der Pater Willius wird wohl die Kinder Sodoms – wie er die auf der Festung genannt hat – meiden, dermalen sie ihm das Fell so wacker gegerbt haben.“

So schied man von einander in nicht übler Laune. –

Gegen Abend, als in Gompertshausen die lahme Magd dem sanften Schlummer in die Arme gesunken war, sang die Hausschwalbe des Ratsherrn Michael Böhm im offnen Bodenfenster:

 

Vetter Michel ei, Vetter Michel ei!

Daß Ihr bleibt so lange,

Macht der Ursel bange!

Ist das Leid vorbei? Ist der Martin frei?

Euer Kind wills wissen,

Dem das Herz zerrissen.

Mir wirds Singen schwer!

 

Und der Zacher in der Stallhalle sagte zur Lise, die eben mit einer Tracht Disteln für Gänse und Schweine vom Felde kam: „Lise, wenns in dem Haus net bald anders wird, geh ich nach Rauenstein. Der Herr kommt net; die Frau flennt; die Urschel hat sich eingeschlossen; meine armen Gäul werden draußen rumgeschlagen, daß ich net weiß, wies ihnen geht: halts net mehr aus!“

Die Lise hockte ab und sagte: „Zacher, friß dein Herz net!“

Lise, ich glaub, 's ist unserm Haus angetan. Hernach, wenn du Feuer gemacht hast, räucherst du! Dazu nimmst du siebenerlei Kräuter: Frauenmantel, Gretel in der Hecken, Bärmutter, Teufelsabbiß, Weihrauten, Wetterglocken und Himmelbrand. Wirst sehn,'s wird anders.“

Zacher, hast gut schwatzen. Wenn ichs hätt!“

Kriegsts bei der Evenkatter, wenn du ihr ein Mandel Eier bringst.“

Habs auch schon zur Frau Böhm gsagt, wolln räuchern, ist aber immer verbliebn.“

Da wurden von der Straße her die Hufschläge eines Reiters hörbar. Zacher schoß ans Tor. „War der Schösser“, sagte er, als er zur Lise zurückkam; „hat sein'n Schecken schön warm geritten! Wie die Herrn mit den Gäuln umgehn, 's ist ne Sünd und Schand!“

Bist 'n Gäuln ihr Narr, Zacher! Hättst Kinder, kämen erst die Gäul.“

Kinder? Müßt doch erst ne Frau han!“

Da wurde Lise rot und ging in den Stall. Zacher glaubte was Dummes gesagt zu haben und kratzte sich hinter dem Ohr. Plötzlich rief er: „Lise, der Herr kömmt! Kenn unsern Wagen nach dem Gehör. Paß auf!“

Zacher hatte recht gehört; der Ratsherr fuhr eben zum Tor herein. Die Herren mußten sich selbst herunter helfen, denn Zacher ging von einem Pferd zum andern und betrachtete seine Pfleglinge unten und oben, hinten und vorn, patschte und streichelte sie, schnalzte mit der Zunge und pfiff leise. Und die Ohren der Pferde spielten, daß es eine Lust war. Zacher schirrte die Tiere aus und führte sie zum Stall. Als der Hengst wieherte, rief er: „Lise, hasts gehört? Mein Männle schreit 'juch!' vor Freud, daß er mich wieder hat.“ –

Der Herr Superintendent verabschiedete sich vom Ratsherrn Michael Böhm mit den Worten: „Müssen heut abend auf die Feste, daß wir sehn, wies ausläuft; hol Er mich um acht Uhr ab.“ Aber der Herr Böhm wendete ein: „Werdens net erwarten können. Von Koburg auf den Straufhain ists schon weiter als hierher, und vom Straufhain auf die Festung wills auch gelaufen sein; und der und jener können net fahrn.“

Er hat recht, Herr Böhm! Also Geduld bis morgen. Guten Abend!“

Gespannt und aufgeregt kamen die Frau Böhm und Ursel dem Vater entgegen. Der Ursel Hand zitterte in der seinen bei der Begrüßung vor der Haustür.

Kommt herein, wills euch erzählen, wies war“, sagte der Ratsherr. Er setzte sich in den lederbeschlagnen Armstuhl, und Mutter und Tochter blieben vor ihm stehen. „Ich war mit dem Herrn Superdent in Koburg, den Spitzbubenhauptmann Hans, der verbrannt werden sollt, ledig und frei zu bringen. Das haben wir auch mit Gottes Hilfe durchgesetzt. Und wenn wir das nit zuweg gebracht hättn, wär dem Hauslehrer Bötzinger schlimmes geschehen. Den hatten sie gefangen und auf dem Straufhain festgehalten. Und die Spitzbuben spielten nun; Pfand um Pfand. So hat es gestanden. Heut nacht wird der Herr Bötzinger wieder auf die Festing zurückkehrn. – So ist nun alles wieder in Ordnung.“

Jungfer Ursel war während dieser Erzählung bald blaß bald rot geworden. Bald schoß ihr das Blut nach dem Herzen, daß es zu springen drohte, bald schoß es nach dem Kopf, daß ihr schwindelte. Die Frau Böhm fuhr öfter mit der Schürze nach dem Gesicht. Und als der Erzähler schon längere Zeit geschwiegen und gedankenvoll vor sich hingesehen hatte, sank das aufgeregte Kind schluchzend nieder auf die Ofenbank. Da sprang der Vater auf und rief: „Ursel, was fehlt dir noch? Du machst mir Kummer!“

Ach Vater! Euer Mut paßt net zu Eurer Botschaft; Ihr wißt mehr, als Ihr erzählt habt!“

Ist wahr, Urschel! Weiß noch was. Sollts auch erfahrn; jetzt gleich. Du kannst ein Lied von der Frau Holle und dem Burschen aus Haßlach. Wies die Frau Holle dem Burschen hat angetan, so hats einmal ein Edelfräulein dem Martin Bötzinger angetan; aber der ist net dran gstorbn wie der Haßlacher. 'S muß in Mupperg passiert sein. – Nun sorg dich aber net mehr so ab, Urschel! Der Bötzinger wird heut noch frei aus den Banden der Spitzbubn, und er wird nunmehr auch frei sein aus den alten Zauberfesseln.“

Jungfer Ursel ging traurig in ihr Kämmerlein und weinte sich aus.

Und die Frau Böhm sagte zu ihrem Eheherrn: „Warn schwere Tag. Unser arm Kind muß viel leiden. Die neu Welt gefällt mir net, Alter. Unsre jungen Jahr warn net so von Heimlichkeiten und Tränen zerfressen; 's war alles fröhlicher!“